Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Beitragsschulden. Inanspruchnahme von Leistungen im Nacherhebungszeitraum zu Lasten der Krankenkasse. atypischer Fall. Ermessensausübung
Orientierungssatz
1. Der Anspruch auf Beitragserlass gem. § 256a Abs 2 S 1 SGB 5 ist bei Inanspruchnahme von Leistungen im Nacherhebungszeitraum zu Lasten der Krankenkasse nicht zwingend ausgeschlossen.
2. Unter welchen Voraussetzungen die Beiträge gem § 256a Abs 2 S 1 SGB 5 zu erlassen sind, wenn der Versicherte im Nacherhebungszeitraum Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen hat, ist in den "Einheitlichen Grundsätzen zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden" nicht geregelt.
3. Bei § 256a Abs 2 S 1 SGB 5 handelt es sich um eine Sollvorschrift. Die Krankenkasse kann bei Vorliegen eines atypischen Falls von der vorgegebenen Rechtsfolge unter Ausübung von Ermessen abweichen.
4. Hat der Versicherte im Nacherhebungszeitraum Leistungen zu Lasten der Krankenkasse in Anspruch genommen, so liegt ein atypischer Fall vor.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2014 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Beitragserlass unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zur Hälfte zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Erlass von Beitragsschulden.
Der am … 1991 geborene Kläger bezog bis zum 31.05.2008 Arbeitslosengeld II. Während des Leistungsbezugs führte die Beklagte für den Kläger eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch. Auch nach dem 31.05.2008 erhielt der Kläger von der Beklagten Versicherungskarten zugesandt, die er auch durch Inanspruchnahme von Leistungen einsetzte. Seit dem 01.04.2013 ist der Kläger privat krankenversichert.
Unter dem 01.03.2013 (Eingang bei der Beklagten am 05.03.2013) teilte das Kommunale Jobcenter "N. W." der Beklagten mit, dass der Leistungsbezug des Klägers von Arbeitslosengeld II am 31.05.2008 geendet habe. In der Folge übersandte die Beklagte dem Kläger mehrfach einen Fragebogen, der seine Krankenversicherung ab dem 01.06.2008 betraf. Eine Rückantwort erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 08.04.2013 wies die Beklagte den Kläger zusätzlich darauf hin, dass er in dem Zeitraum seit dem 01.06.2008 Leistungen in Höhe von ca. 6.300,00 € Anspruch genommen habe. Unter dem 24.05.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie davon ausgehe, dass er seit dem 01.06.2008 eine andere Krankenversicherung habe.
Mit Schreiben vom 27.05.2013 forderte die Beklagte von dem Kläger für zu Unrecht gewährte Leistungen einen Betrag in Höhe von 6.277,53 €.
Mit Schreiben vom 13.06.2013 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.05.2013 ein. Zwischen ihm und der Beklagten habe auch über den 31.03.2013 ein Mitgliedschaftsverhältnis bestanden, zumindest sei dies durch die Übersendung der Krankenversicherungskarten mehrfach bestätigt worden. Offensichtlich habe das zuständige Jobcenter die entsprechende Meldung versäumt. Er sei zu keinem Zeitpunkt darüber aufgeklärt worden, dass möglicherweise ein Anspruch auf freiwillige Versicherung bzw. eine Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bestehe. Mit weiterem Schreiben vom 20.08.2013 gab der Kläger ausdrücklich eine Meldung seiner Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V für die Zeit bis zum 31.03.2013 ab. Darüber hinaus beantragte er für die Zeit bis zum 31.03.2013 den Erlass der Beiträge auf der Grundlage des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung.
Mit Bescheid vom 11.09.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihn für die Zeit vom 01.06.2008 bis 31.03.2013 in die Pflichtversicherung aufgenommen habe und dass für den Zeitraum vom 01.06.2008 bis 31.12.2008 auf Grund zwischenzeitlich eingetretener Verjährung keine Beiträge zu zahlen seien. Für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.03.2013 sei eine Beitragsforderung in Höhe von 7.319,75 € entstanden. Die Kosten für die Leistungen, die der Kläger zu Lasten der Beklagten in Anspruch genommen habe, seien nicht von ihm zu zahlen. Die Inanspruchnahme von Leistungen schließe aber den Erlass der Beiträge vollständig aus, und zwar unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Nacherhebungszeitraums und in welchem Umfang Leistungen beansprucht worden seien.
Unter dem 19.09.2013 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.09.2013 ein. § 256a SGB V gelte unabhängig davon, ob in der Vergangenheit Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch genommen worden seien oder nicht. Von Bedeutung sei weiterhin, dass er keine Kenntnis von dem Bestehen einer Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V gehabt habe. Ihm sei vielmehr mehrfach eine Mitgliedschaft auf Grund vorbestehenden Leistungsbezugs nach dem SGB II bestätigt worden, ohne dass hier Pfl...