Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzneimittelrecht. Beurteilung eines Stoffes oder Stoffgemisches als Arzneimittel. Krankenversicherung. keine Kostenübernahme von Lorenzos Öl im Rahmen der Arzneimittelversorgung. Ausnahme von Verordnungsausschluss für bestimmte diätetische Lebensmittel nach Arzneimittel-Richtlinie verstößt gegen gesetzliche Ermächtigungsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beurteilung eines Stoffes oder Stoffgemisches als Arzneimittel kommt es auf den therapeutischen Zweck im Sinne der Herstellung, Korrektur oder Beeinflussung der physiologischen Funktion an. Um ein diätetisches Lebensmittel handelt es sich nur, wenn der Stoff oder das Stoffgemisch zur Ernährung im Sinne der Gewinnung von Energie durch Stoffwechselprozesse und der Bildung körpereigener Stoffe bestimmt ist. Soweit ein Stoff oder Stoffgemisch Eigenschaften sowohl eines Arzneimittels als auch eines Lebensmittels aufweist, gilt ausschließlich Arzneimittelrecht.
2. Lorenzos Öl ist ein Arzneimittel, das mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf. Einer Verordnung von Lorenzos Öl als Lebensmittel nach § 31 Abs 1 S 2 SGB 5 steht außer der Eigenschaft als Arzneimittel entgegen, dass es sich nicht um eine Aminosäuremischung, ein Eiweißhydrolysat, eine Elementardiät oder Sondennahrung handelt.
3. Die Ausnahme von dem für Lebensmittel geltenden Verordnungsausschluss hinsichtlich bilanzierter Diäten zur Behandlung seltener Defekte im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel nach Nr 15.2.3 S 3 AMR steht nicht im Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in § 31 Abs 1 S 2 und § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB 5.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit Lorenzos Öl (LO), einer 4 : 1-Mischung aus Glyceroltrioleat (GTO) und Glyceroltrierucat (GTE) mit einem hohen Anteil mittellanger einfach ungesättigter Fettsäuren (vorwiegend Ölsäure und Erucasäure), zur Behandlung der Adrenomyeloneuropathie (AMN), einer Verlaufsform der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie (X-ALD; ICD-10 Nr. E71.3).
Bei dem 1956 geborenen Kläger stellte sich vor ca. 5 Jahren eine Gangstörung des rechten Beines ein. Der Kläger unterzog sich vom 03.07. bis zum 08.07.2003 sowie am 27.05. und 25.08.2003 einer eingehenden ambulanten sowie stationären Diagnostik an der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Dresden, in deren Ergebnis an Hand auffälliger Reflex- und Nervenleitungsbefunde eine demyelinisierende Schädigung der motorischen und sensiblen Bahnen der Beine bei gleichzeitig deutlicher Erhöhung der langkettigen Fettsäuren festgestellt und eine Adrenoleukodystrophie/-myeloneuropathie diagnostiziert wurde. Zur Verminderung der Paraspastik der Beine wurde dem Kläger zunächst ein Muskelrelaxans verschrieben. Im Zuge einer DNA-Analyse wurde festgestellt, dass der Kläger auf Grund einer heterozygoten C- zu T-Transversion im 7. Exon des Gens ABCD1 an Stelle des Codons Nr. 560 für Prolin (CCG) das Codon Nr. P560S für Serin (TCG) aufweist. In einem Arztschreiben vom 27.11.2003 bestätigten die Ärzte des Instituts für Klinische Genetik am Universitätsklinikum Dresden die nunmehr molekukargenetisch gesicherte Diagnose einer Adrenomyeloneuropathie.
Nach Überweisung an das Sächsische Krankenhaus H. stellte der dortige Chefarzt W. K. auf Grund des stationären Aufenthalts vom 01.12.2003 bis zum 05.12.2003 in seinem Bericht vom 17.12.2003 fest, dass der Kläger an einer Adrenomyeloneuropathie, einem adulten Phänotyp der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie leide, die von einer sensorischen Ataxie und einer dezenten spastischen Paraparese der Beine sowie einer neurogenen Blasenstörung begleitet sei. Im MRT habe kein Hinweis auf eine leukodystrophische Läsion festgestellt werden können. Lediglich die Akzentuierung der infratentoriellen äußeren Liquorräume weise auf eine leichte infratentorielle Hirnatrophie hin, die in seltenen Fällen im Rahmen einer Adrenoleukodystrophie gesehen werde. Eine beginnende zerebrale Affektion im EEG stelle sich derzeit noch als subklinisch dar. Die Krankheit weise einen gutartigen Verlauf mit leichter klinischer Progredienz hinsichtlich des im Laufe des Jahres zunehmenden Harndrangs auf. Zur Verhinderung einer weiteren Progredienz empfahl Chefarzt W. K. eine Therapie mit Lorenzos Öl.
Mit am 11.12.2003 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 08.12.2003 beantragte Chefarzt W. K. zu Gunsten des Klägers die Übernahme der Kosten einer lebenslangen Behandlung, bestehend aus einer Basisdiät sowie "quasi medikamentenähnlich" der Zuführung der Spezialöle Glyceroltrioleat und Glyceroltrierucat, wobei es neben der ambulanten nervenärztlichen Kontrolle zur Einleitung der Behandlung zwei bis drei kurzer ca. einwöchiger stationärer Aufenthalte in Abständen von 6 bis 12 Monaten zur Dosisfindung, Einstellung und Kontrolle bedürfe. Die Kosten der Spezialöle beliefen sich je nach Körpergewicht auf monatlich 1.000,00 bis 1.500 DM. Diese könnten vorzugsweis...