Entscheidungsstichwort (Thema)

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Minderung des quantitativen Leistungsvermögens bei psychischen Erkrankungen. Behandelbarkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Annahme einer Minderung des quantitativen Leistungsvermögens steht nicht entgegen, dass bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung noch keine oder bislang keine adäquate Behandlung durchgeführt worden ist.

2. Die Frage der Behandelbarkeit einer psychischen Erkrankung ist lediglich für die Dauer und Befristung einer Rente von Bedeutung.

3. Sofern erfolgsversprechende Behandlungen bestehen, kann der Rentenversicherungsträger die Rentenzahlung wegen Erwerbsminderung nur gemäß § 66 SGB I verweigern, wenn der Versicherte nach Aufforderung zumutbare Behandlungen nicht ergreift.

 

Orientierungssatz

Zum Leitsatz 2 vgl BSG vom 29.3.2006 - B 13 RJ 31/05 R = BSGE 96, 147 = SozR 4-2600 § 102 Nr 2.

 

Tenor

I. Unter Aufhebung des Bescheides vom 13.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.2018 wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.11.2017 bis zum 31.10.2020 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Der 1982 geborene und seit dem 07.07.2017 arbeitslose Kläger beantragte bei der Beklagten am 28.03.2017 (Posteingang 12.04.2017) eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 13.07.2017 ab, da der Kläger die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle. Im Ergebnis der medizinischen Ermittlungen der Beklagten würden bei dem Kläger Krankheiten oder Behinderungen in Form einer seelischen Erkrankung (Panikstörung, Depression), einer Schlafatemfunktionsstörung, eines Verschleißes der Wirbelsäule, von Spannungskopfschmerzen und von Bluthochdruck vorliegen. Die Einschränkungen, die sich hieraus ergeben, führen nach Einschätzung der Beklagten nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Denn nach ihrer medizinischen Beurteilung könne der Kläger mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein.

Gegen den Ablehnungsbescheid vom 13.07.2017 erhob der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, am 02.08.2017 (Posteingang 03.08.2017) Widerspruch. Der Kläger sei aufgrund einer seelischen Erkrankung nicht in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbsfähig zu sein. Der Kläger könne keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. So habe er die Anreise zu dem von der Beklagten beauftragten Sachverständigen aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen abbrechen müssen.

Die Beklagte beauftragte daraufhin Dr. medic R…. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens auf psychiatrischem Fachgebiet. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 09.04.2018 mit ambulanter häuslicher Untersuchung am 05.04.2018 zu dem Ergebnis, dass der Kläger nach psychischer Stabilisierung in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich psychisch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Tagesschicht und ohne Anforderungen an die Frustrationstoleranz, ohne Beherrschung komplexer Arbeitsvorgänge und ohne Zeitdruck zu verrichten.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.05.2018 als unbegründet zurück. Die vorliegenden medizinischen Unterlagen seien durch den sozialmedizinischen Dienst erneut geprüft worden. Diese seien schlüssig und überzeugend. Eine weitere medizinische Sachaufklärung sei nicht erforderlich. Der Kläger sei in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen zu verrichten.

Mit seiner am 13.06.2018 (Posteingang 14.06.2018) durch seinen Prozessbevollmächtigten am Sozialgericht Dresden erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Kläger sei unter Verweis auf einen Befundbericht seiner Hausärztin vom 27.12.2016 aufgrund von Schlafstörungen bei Schlafapnoe, Panikstörungen, eines rezidivierenden Spannungskopfschmerzes, einer essentiellen Hypertonie, lumbaler und sonstiger Bandscheibenschäden mit Radikulopathie, einer Osteochondrose der Wirbelsäule und einer Tonsillenhyperplasie seit dem 01.02.2016 arbeitsunfähig. Der Kläger leide daneben an Angst- und Panikstörungen bei depressiver Stimmungslage, einer affektdurchbrüchigen wenig toleranten Persönlichkeitsakzentuierung, einer Insomnie sowie einer Interkostalneuropathie. Die Untersuchung und Befragung durch den von der Beklagten beauftragten Sachverständigen habe lediglich 15 Minuten gedauert. Der Kläger könne aufgrund der Angst- und Panikstörung weder öffentliche Verkehrsmittel noch ein privates Pkw nutzen. Der Kläger habe sich vom 03.08.2016 bis zum 04.08.2016 in teilstationärer Behandlung im S.... Krankenhaus G.... befunden. Eine Begutachtung auf orthopädischem Fachgeb...

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