Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Datenverarbeitung und -übermittlung nach § 303b Abs 1 SGB 5. hochsensible Versichertendaten. erheblicher Grundrechtseingriff. einstweiliger Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Zum Erlass eines einstweiligen Rechtsschutzes des Versicherten hinsichtlich der Übermittlung hochsensibler Versichertendaten von Krankenkassen an den GKV-Spitzenverband mit einem Versichertenpseudonym nach § 303b Abs 1 SGB 5 für das Berichtsjahr 2021.
2. In den durch §§ 303a ff SGB 5 vorgesehenen Datenverarbeitungs- und -übermittlungsmaßnahmen liegt vor allem in Anbetracht des teils sensiblen und in hohem Maße persönlichkeitsrelevanten Charakters der genutzten Daten und der dabei breitflächigen Erhebung ein erheblicher Grundrechtseingriff.
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, die den Antragsteller betreffenden, in § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV bezeichneten Daten für das Berichtsjahr 2021 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die vorläufige Untersagung der Übermittlung der ihn betreffenden Daten gemäß § 303b Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) und § 3 Abs. 1 Verordnung zur Umsetzung der Vorschriften über die Datentransparenz (Datentransparenzverordnung - DaTraV) an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV Spitzenverband).
§§ 303a ff. SGB V in der Fassung des Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz - DVG) vom 9. Dezember 2019 (Bundesgesetzblatt ≪BGBl≫ I 2019, 2562) etablieren ein Datentransparenzverfahren, in dem von den Krankenkassen die in § 303b Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Daten der gesetzlich Versicherten, darunter Alter, Geschlecht, Wohnort und bestimmte Gesundheitsdaten an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Datensammelstelle (§ 303a Abs. 1 Satz 1 SGB V) übermittelt und von diesem anschließend an das Forschungsdatenzentrum nach § 303d SGB V (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ≪BfArM≫, § 2 Abs. 2 DaTraV) weitergegeben werden. Dieser Vorgang wird von einem Pseudonymisierungsverfahren begleitet, das maßgeblich durch die Vertrauensstelle nach § 303c SGB V (Robert Koch-Institut ≪RKI≫, § 2 Abs. 1 DaTraV) durchgeführt wird. Dabei soll gewährleistet sein, dass die Pseudonyme kassenübergreifend eindeutig einem bestimmten Versicherten zugeordnet werden können, um basierend auf diesen Zuordnungen beispielsweise medizinische Langzeitstudien oder Längsschnittanalysen durchführen zu können. Das Forschungsdatenzentrum stellt den in § 303e Abs. 1 SGB V aufgezählten Nutzungsberechtigten auf Antrag die Datensätze grundsätzlich aggregiert und anonymisiert, gegebenenfalls aber auch pseudonymisiert oder in kleinen Fallzahlen zur Verfügung. Die Datenverarbeitung durch die Nutzungsberechtigten darf zu den in § 303e Abs. 2 SGB V bestimmten Zwecken stattfinden, wozu neben medizinischen Forschungsvorhaben auch Planung, Analyse und Evaluation der Gesundheitsversorgung im System der gesetzlichen Krankenversicherung und Aufgaben der Gesundheitsberichterstattung zählen. Das Nähere regelt nach § 303a Abs. 4 SGB V die Verordnung zur Umsetzung der Vorschriften über die Datentransparenz (Datentransparenzverordnung - DaTraV) vom 19. Juni 2020 (BGBl I 2020, 1371).
Der 1984 geborene, bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Antragsteller leidet an einer angeborenen schweren Blutgerinnungsstörung, einer rezidivierenden depressiven Störung und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Mit Schreiben vom 1. März 2022 forderte er die Antragsgegnerin auf, von einer Übermittlung ihn betreffender personenbezogener Daten im Datentransparenzverfahren an die Datensammelstelle abzusehen.
Die Antragsgegnerin lehnte mit Schreiben vom 8. März 2022 das Unterlassungsbegehren mit der Begründung ab, die Datenverarbeitungen im Datentransparenzverfahren beruhten auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage.
Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 15. März 2022 Widerspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden ist.
Am 3. Mai 2022 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Frankfurt am Main den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren beantragt, der Antragsgegnerin die Übermittlung der ihn betreffenden, in § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV bezeichneten Daten für die Berichtsjahre 2019 und 2021 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen vorläufig zu untersagen. Er ist der Ansicht, die gesetzliche Ausgestaltung des Datentransparenzverfahrens weise gravierende Mängel bezüglich der IT-Sicherheit der sensiblen Gesundheitsdaten auf und verletze daher sowohl Verfassungsrecht als auch Unionsrecht. Der Antragsteller befürchtet, trotz Pseudonymisierung aus den Datensätzen reidentifiziert werden zu k...