Entscheidungsstichwort (Thema)
Beantragung konkreter Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Form eines orthopädischen Bürostuhls. leistungsbezogene Prüfung der Rehabilitationsbedürftigkeit und der Erfolgsaussicht. Erforderlichkeit
Orientierungssatz
1. Sofern nicht nur Teilhabeleistungen dem Grunde nach, sondern konkrete Teilhabeleistungen (hier: in Form eines orthopädischen Bürostuhls) streitig sind, kann sich die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 10 Abs 1 SGB 6 nicht darauf beschränken, ob der Versicherte grundsätzlich rehabilitationsfähig ist. Vielmehr müssen die Rehabilitationsbedürftigkeit und die Erfolgsaussicht der Rehabilitation iS von § 10 Abs 1 SGB 6 in diesen Fällen gemäß § 16 SGB 6 iVm § 33 Abs 1 SGB 9 maßnahme- bzw leistungsbezogen geprüft werden (vgl BSG vom 17.10.2006 - B 5 RJ 15/05 R = SozR 4-2600 § 10 Nr 2 RdNr 29 ff).
2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines orthopädischen Bürostuhls sind nicht erforderlich, wenn für die sitzenden Tätigkeiten des Versicherten ein ergonomischer Bürostuhl ausreichend ist.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für einen orthopädischen Bürostuhl als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI).
Die Klägerin (geb. 1981) ist u.a. ausgebildete Informatikkauffrau (2001 bis 2003). Zuletzt war sie bis zum 15.01.2015 befristet bei der C. GmbH als kaufmännische Angestellte (Gruppenleiterin Auftragsbearbeitung) in Vollzeit tätig. Sie arbeitete dort sitzend am Bildschirm und am Telefon. Bis zum 11.05.2016 erhielt sie Arbeitslosengeld I.
Anerkannt ist ein GdB von 40. Die Klägerin ist mit Wirkung ab dem 27.12.2012 schwerbehinderten Menschen gleichgestellt (vgl. Bescheid vom 01.11.2013).
Am 15.01.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Kostenübernahme für einen orthopädischen Bürostuhl als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Als Beschwerden gab sie an: Tossy -III-Läsion, Arthrose in Nacken, Schulter und Knie, sehr starke Verspannungen im Rücken, permanente Kopf- und Zahnschmerzen, Nervenschmerzen in Hand, Arm, Becken und Bein, Morbus Crohn.
Nach dem von der Beklagten beigezogenen Befundbericht des Orthopäden D. vom 09.12.2013 sind folgende Erkrankungen diagnostiziert: 1. Chronisches HWS-Syndrom, M54.02 G; 2. Adhäsive Entzündung der Schultergelenkkapsel, M75.0 L G; 3. Morbus Crohn, K 50.8 G; 4. Trigeminusneuralgie. Es bestünden seit einem Unfall 2004 rezidivierende Kribbelparesien der Finger sowie eine Trigeminusneuralgie. Eine aktuelle MRT-Untersuchung zeige eine Bandscheiben-Protrusion C5/C6. Es erfolge eine ambulante Physiotherapie ohne nachhaltigen Erfolg.
Der von der Beklagten beauftragte SMD nahm am 27.02.2014 Stellung wie folgt: „Für die Bereitstellung eines ergonomischen Bürostuhls ist der Arbeitgeber zuständig.“
Mit Bescheid vom 03.03.2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, ein orthopädischer Bürostuhl sei nicht medizinisch erforderlich, ein ergonomischer Bürostuhl sei ausreichend. Hierfür sei jedoch der Arbeitgeber zuständig.
Den am 21.03.2014 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass der Arbeitgeber ihr keinen Stuhl bezahlen wolle, dies aber für ihre Gesundheit und Arbeitsleistung zwingend erforderlich sei: Sie leide u.a. an schwerer Skoliose und Arthrose.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2014 zurück. Sie verwies darauf, dass nach Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen (Bescheinigung des Orthopäden D. vom 27.05.2014, Befundbericht des Orthopäden D. vom 09.12.2013, Bericht der Radiologischen Praxis E-Stadt vom 14.11.2013) die Ausstattungsmerkmale eines orthopädischen Bürostuhls nicht erforderlich seien.
Am 14.10.2014 hat die Klägerin Klage zu dem Sozialgericht Gießen erhoben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.10.2014 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Kostenübernahme für einen orthopädischen Bürostuhl zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist die Beklagte auf die angegriffenen Bescheide.
Das Gericht hat nach Anforderung von Befundberichten bei den Hausärzten der Klägerin, Dres. F. und G., ein fachärztliches Gutachten auf dem Gebiet der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin von Dr. I. eingeholt. Nach dem Gutachten vom 05.12.2015 liegen folgende Krankheiten vor: 1. Anhaltende Belastungsbeschwerden im Nacken und Schultergürtel mit Muskel-Sehnen-Schmerzen (myofasciales Schmerzbild) und pseudoradikulärer Fortleitung in den linken Arm, z.T. mit begleitenden Miss-/Minderempfindungen im Bereich des linken Unterarms und daumenseitig an der Hand bei verstärkter Rundrückenbildung der oberen Brustwirbelsäule sowie mäßigen degenerativen Ver...