Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Lohnbuchhalter in einer Steuerkanzlei. Vertrag über freie Mitarbeit. umsatzabhängige Bezahlung. mehrere Auftraggeber. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit

 

Orientierungssatz

Zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung einer Tätigkeit als Lohnbuchhalter in einer Steuerkanzlei auf der Basis eines Vertrags über freie Mitarbeit (hier: selbstständige Tätigkeit).

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 10.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.07.2019 wird aufgehoben und festgestellt, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1. bei dem Kläger in der Zeit vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2018 als Lohnbuchhalter nicht im Rahmen eines abhängigen und damit dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, insbesondere auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene zu 1. (im Folgenden „der Beigeladene“) in seiner Tätigkeit als Lohnbuchhalter bei dem Kläger in der Zeit vom 01.01.2018 bis 31.12.2018 in einem abhängigen und damit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand.

Der Beigeladene und der Kläger stellten bei der Beklagten am 06.07.2018 einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status für die Tätigkeit des Beigeladenen als „Sachbearbeiter Lohn“ (Statusanfrage nach § 7a Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)). Vorgelegt wurde u.a. ein Vertrag über freie Mitarbeit (geschlossen zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen) vom 02.01.2018. Der Vertrag enthielt u.a. die folgenden Regelungen:

㤠1 Vertragsgegenstand, Auftragsumfang, Haftung

- Der Auftraggeber erteilt dem Auftragnehmer mit Wirkung ab 01.01.2018 folgenden Auftrag:

Selbständige Bearbeitung und Erstellung der laufenden Lohnabrechnungen (inkl. der Vorbereitung von Lohnsteueranmeldungen, der Erstellung von Meldungen zur Sozialversicherung und Anträgen nach dem AAG, Unterstützung bei der Führung von Lohnkonten, Bereitstellung von Auswertungen für die Mandanten und gegenüber betroffenen Institutionen).

- Die zu erbringenden Leistungen sind den individuellen Anforderungen der jeweiligen Mandate im Einzelfall anzupassen.

- Darüber hinaus werden durch den Auftragnehmer Rückfragen und Anfragen der Mandanten des Auftraggebers selbständig bearbeitet. […]

- Der Auftrag entsprechend dem vorgenannten Umfang wird zunächst für die in der Anlage aufgeführten Mandanten erteilt.

- Zusätzliche Aufträge können nur nach einvernehmlicher Absprache zwischen den Vertragsparteien auf den Auftragnehmer übertragen werden. Die Absprache kann auch mündlich erfolgen. Der Auftragnehmer kann die Annahme zusätzlicher Aufträge ohne Angabe von Gründen ablehnen. […]

§ 2 Weisungsfreiheit, Auftragserfüllung, Status

- Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass durch diese Vereinbarung zwischen ihnen kein Arbeitsverhältnis i.S.d. § 611a BGB entstehen soll. Insbesondere unterliegt der Auftragnehmer bei der Durchführung der übertragenen Tätigkeiten keinen Weisungen des Auftraggebers. Gegenüber Angestellten des Auftraggebers hat der Auftragnehmer keine Weisungsbefugnis.

- Der Auftragnehmer ist konkret in der örtlichen und zeitlichen Disposition sowie in der Art und Weise seiner Auftragsdurchführung frei. […]

- Der Auftragnehmer hat die Leistungen nicht in Person zu erbringen. Er kann sich zur Erfüllung des Auftrags auch anderer Personen bedienen. […]

§ 3 Vergütung

- Als Vergütung vereinbaren die Vertragsparteien ein monatliches Pauschalhonorar in Höhe von 35% des Nettoumsatzes, den der Auftraggeber mit den vom Auftragnehmer zu bearbeitenden Aufträgen erzielt. […]

§ 5 Konkurrenz

- Der Auftragnehmer darf und soll auch für andere Auftraggeber tätig sein und erklärt, dass er bei Aufnahme dieser selbständigen Tätigkeit mehrere solcher Auftraggeber hat und die Einnahmen hieraus mehr als 1/6 der in diesem Vertrag vereinbarten Einnahmen betragen. […]

§ 10 Nebenabreden, Schriftform, Schlussbestimmungen

- Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. […]“

Ergänzend trug der Kläger im Verwaltungsverfahren vor, dass der Beigeladene etwa 50-55 Stunden pro Monat als freier Mitarbeiter für ihn tätig sei. Er sei dauerhaft auch für andere Auftraggeber in nicht unerheblichem Umfang tätig. Die Arbeitszeiten würden durch ihn weder kontrolliert, noch seien ihm die tatsächlichen Arbeitszeiten bekannt. Der Beigeladene erhalte hinsichtlich der externen Aufträge ausschließlich eine variable, am mit dem jeweiligen Auftrag erwirtschafteten Umsatz orientierte Vergütung. Dies spreche - unabhängig von der Höhe der Umsatzbeteiligung - klar für die Übernahme eines eigenen unternehmerischen Risikos. Neben der Lohnabrechnung für externe Mandanten erledige der Beigeladene auch die Lohnabrechnung für die Belegschaft des Klägers - hierfür erhalte er eine vereinbarte Pauschale in Höhe v...

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