Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilferecht: Hilfe zur Pflege. Umfang der Leistungen für eine Pflegekraft. Anwendung von Vergütungsvereinbarungen über Pflegeleistungen auf der Basis von Leistungskomplexen. Zuordnung von Pflegeleistungen zu Leistungskomplexen
Orientierungssatz
1. Sehen die im Rahmen der Gewährung von Hilfe zur Pflege als Sozialhilfeleistung heranzuziehenden Vergütungsvereinbarungen zwischen den Verbänden der Leistungserbringer und der Träger der Pflegeleistung eine Vergütung auf der Grundlage von Leistungskomplexen vor, so kann für eine konkrete Handlung, die im Zusammenhang mit der Erbringung der Komplexleistung steht und die in mehreren der Komplexe als Begleithandlung enthalten ist (hier: Lagern, Betten und Mobilisieren), nur jeweils ein konkreter Leistungskomplex abgerechnet werden.
2. Sieht ein Leistungskomplex in einer Vergütungsvereinbarung über Pflegeleistungen auf der Basis von Komplexleistungen vor, dass eine bestimmte Pflegehandlung (hier: Umlagern im Bett) allein einem Leistungskomplex zugeordnet ist, der nur bei einem bestimmten Pflegebedarf zur Anwendung kommt (hier: schwerste Bettlägerigkeit), so kommt eine Anwendung der Vergütungsregelung auch nur dann in Betracht, wenn dieser Pflegebedarf beim Betroffenen tatsächlich besteht. Dagegen scheidet eine Anwendung der Komplexleistung als Grundlage der Vergütung aus, wenn lediglich im Rahmen der Erbringung von Pflegeleistungen ähnliche Handlungen notwendig mit durchgeführt werden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, in welchem Umfang der Beklagte die Kosten für die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft nach § 65 Abs. 1 Satz 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) zu übernehmen hat.
Der am ... 1979 geborene Kläger erlitt am 2009 während eines Aufenthaltes in ... eine Ponsblutung mit Ventrikeleinbruch und wurde am 20.03.2009 in das Uniklinikum ... verlegt. Vom 14.04.2009 bis zum 20.01.2010 durchlief er eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Neurologischen Zentrum ... Seit dem 01.03.2009 hat der Kläger einen zuerkannten Grad der Behinderung von 100 mit dem Merkzeichen "G", "B", "aG", "H" und "RF". Er erhält eine Rente aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung in Höhe von 512 EUR. Daneben erhält er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 419,15 EUR monatlich und seit 01.01.2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 374,80 EUR. Nach Entlassung aus dem Neurologischen Zentrum ... bezog der Kläger eine eigene, behindertengerechte Wohnung, die er sich mit einer ebenfalls pflegebedürftigen Mitbewohnerin im Rahmen einer Wohngemeinschaft teilt. Seit Januar 2010 wird der Kläger von der Beigeladenen grundpflegerisch, behandlungspflegerisch und hauswirtschaftlich versorgt.
Die Mitbewohnerin des Klägers wird ebenfalls von der Beigeladenen gepflegt und hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf ergänzende Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 61 ff. SGB XII. Bereits am 14.01.2010 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Hilfe zur Pflege. Am 21.01.2010 wurde der Kläger im Auftrag seiner privaten Pflegesicherung R+V KV AG von der Firma … im Hinblick auf seine Pflegebedürftigkeit begutachtet. Nach diesem Gutachten vom 01.02.2010 besteht beim Kläger ein Pflegebedarf in der Grundpflege von 313 Minuten und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 60 Minuten. Er sei mit einem Pflegebett mit Bettgalgen, einem Elektrorollstuhl, einem Badewannenlifter sowie einem Toilettenstuhl und einem Toilettenrollstuhl versorgt. Das Gewicht des Klägers betrage bei einer Größe von 197 cm und 112 kg. Es bestünden ausgeprägte Sensibilitäts- und Koordinationsstörungen der Arme und Hände. Die Feinmotorik sei stark beeinträchtigt, die Hand-Mund-Koordination weise erhebliche Defizite auf, häufig würden Gegenstände aus der Hand verloren oder zerdrückt, bei der Nahrungsaufnahme werde der Mund meist verfehlt. Beim Sitzen bestehe keine ausreichende Körperkontrolle, so dass es sofort zum Umkippen komme. Das Kauen sei normal möglich, das Schlucken sei deutlich gestört, könne jedoch durch den Kläger bei kleinen Flüssigkeitsportionen ausreichend gesteuert werden. Wegen der gestörten Mundmotorik käme es häufig zum Zungen- und Wangenbiss. Die Urinentleerung erfolge tagsüber alle zwei bis drei Stunden, die Nykturie zwei- bis viermal. Wegen Problemen bei der Erreichbarkeit der Toilette würden Vorlagen verwendet, die dreimal täglich gewechselt würden. Es bestehe keine regelmäßige Harninkontinenz sowie keine Stuhlinkontinenz. Das Sehvermögen sei beeinträchtigt wegen eines linksseitigen Nystagmus und einer horizontalen Blickparese nach rechts, der Sehnerv rechts sei vernarbt und das rechte Auge mit einem Uhrglasverband versorgt. Gegenstände würden normal erkannt, das Lesen sei nicht möglich. Die Kommunikation sei wegen erheblicher Sprachstörung deutlich erschwert, jedoch sei die Verständigung ausreichend möglich. ...