Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versicherungspflicht bzw -freiheit. Auslegung des Merkmals der Hauptberuflichkeit
Leitsatz (amtlich)
Der Rechtsgedanke des § 2 S 1 Nr 9 Buchst a SGB 6 ist nicht bei der Auslegung des Merkmals der Hauptberuflichkeit iS des § 5 Abs 5 SGB 5 heranzuziehen (Anschluss an LSG München vom 1.4.2004 - L 4 KR 34/02).
Tenor
Der Bescheid vom 17.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger hauptberuflich selbständig erwerbstätig und somit nicht versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung ist.
Der am ...1961 geborene Kläger betreibt seit dem Jahr 1999 eine Spedition, in der jedenfalls derzeit drei Arbeitnehmer beschäftigt sind. Überdies ist er - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - seit dem 01.04.2005 bei der Beigeladenen abhängig beschäftigt und wurde bislang von der Beklagten als aufgrund dieser Beschäftigung versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) betrachtet.
Laut den im Klageverfahren vorgelegten Bescheiden des Finanzamts hat er seither aus beiden Erwerbstätigkeiten folgende Einkünfte erzielt:
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Jahr |
Einkünfte aus Gewerbebetrieb |
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit |
2005 |
1.535 |
23.180 |
2006 |
4.686 |
25.000 |
2007 |
7.522 |
25.000 |
2008 |
2.499 |
25.000 |
2009 |
11.677 |
25.000 |
Eine ebenfalls im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Einnahmen-Überschuss-Rechnung für das Jahr 2010 kommt zu einem Überschuss i.H.v. 9.789,83 Euro. Das Einkommen aus der Beschäftigung bei der Beigeladenen ist auch im Jahr 2010 gleich geblieben.
Mit Bescheid vom 17.01.2011 stellte die Beklagte fest, es bestehe aufgrund der Beschäftigung des Klägers bei der Beigeladenen keine Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung. Die Meldekorrektur werde aufgrund von Verjährungsvorschriften erst für die Zeit ab dem 01.12.2006 vorgenommen. Sie führte aus, der Kläger beschäftige derzeit drei Arbeitnehmer mit einer Lohnsumme von insgesamt mehr als 400.- Euro monatlich und sei damit als hauptberuflich selbständig anzusehen.
Seinen am 02.02.2011 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, er arbeite für die Beigeladene 40 Stunden wöchentlich, wohingegen er auf seine selbständige Tätigkeit nur bis zu 18 Stunden in der Woche aufwende. Auch sei das Einkommen aus der Beschäftigung bedeutend höher.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 02.03.2011 mit der Begründung zurück, Arbeitgeber, die einen Arbeitnehmer mehr als geringfügig entlohnt beschäftigten, seien grundsätzlich hauptberuflich selbständig erwerbstätig.
Hiergegen richtet sich die am 15.03.2011 erhobene Klage.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 17.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.03.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Beide bleiben bei ihrer Auffassung.
Die Beigeladene
hat keinen Antrag gestellt.
Sie hat ausgeführt, die monatliche Arbeitszeit des Klägers betrage 172 Stunden. Er arbeite zwischen acht und zehn Stunden täglich. Von der selbständigen Tätigkeit habe sie bei Beginn des Beschäftigungsverhältnisses von der gewusst. Der zeitliche Umfang könne angesichts der Arbeitszeit im Beschäftigungsverhältnis nicht groß gewesen sein, jedenfalls habe sie nie Anlass zum Einschreiten gehabt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist als (reine) Anfechtungsklage statthaft, da der vorherige Versicherungsstatus des Klägers durch die angefochtenen Entscheidungen geändert worden ist. Somit versetzt eine Aufhebung dieser Entscheidungen den Versicherungsstatus in seinen vorherigen Zustand zurück, womit dem Klagebegehren entsprochen ist.
Die angefochtenen Entscheidungen sind rechtswidrig i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger war aufgrund seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V.
Der Kläger war und ist nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig, so dass seine auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V beruhende Versicherungspflicht nicht nach § 5 Abs. 5 SGB V ausgeschlossen ist oder war.
Als hauptberuflich anzusehen ist eine selbständige Erwerbstätigkeit, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Umfang her jedenfalls die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteigt (BSG, Urteil vom 29.04.1997, 10/4 RK 3/96, SozR 3-5420 § 3 Nr. 2; aus neuerer Zeit etwa SG Hamburg, Urteil vom 14.01.2011, S 33 KR 901/08 m.w.N.).
Ob der Versicherte hingegen einen oder mehrere Arbeitnehmer versicherungspflichtig beschäftigt, ist insoweit unbeachtlich (SG Dresden, Urteil vom 31.01.2008, S 25 KR 313/07).
Für ein solches Kriterium find...