Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Berücksichtigung eines steuerrechtlich abzugsfähigen Verlustvortrags im Rahmen der Anrechnung von Vermögenseinkünften auf eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Verlustvortrag bei Einkünften aus Kapitalvermögen iS von § 20 EStG, der steuerrechtlich abzugsfähig ist, ist im Rahmen der Einkommensanrechnung von Vermögenseinkünften auf Hinterbliebenenrenten nicht zu berücksichtigen. Hierin liegt keine Verletzung des Gleichheitssatzes. Hinterbliebenenrenten haben eine unterhaltssichernde Funktion und sind daher einkommensabhängig; der Ausgleich von Vermögensverlusten ist nicht vorgesehen.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Neuberechnung ihrer Witwenrente ab 01.07.2021 und die Rückforderung überzahlter Witwenrente iHv 1.135,08 € für den Zeitraum 01.07. bis 30.09.2021.

Die ... geborene Klägerin ist die Witwe des .... geborenen und am .... verstorbenen ..... (im Folgenden: Versicherter). Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 24.06.2005 große Witwenrente ab 01.12.2004. Seit 01.04.2020 bezieht die Klägerin Regelaltersrente. Zuletzt vor dem hier streitigen Zeitraum berechnete die Beklagte die Witwenrente mit Bescheid vom 22.06.2020 neu ab 01.04.2020 wegen einer Änderung des anzurechnenden Einkommens. Nachdem zuvor monatliches Einkommen iHv 5.954,82 € berücksichtigt worden war, hatte die Klägerin ab 01.04.2020 nur noch ihre Altersrente iHv 836,93 € als Einkommen. Da das Einkommen den Freibetrag nicht überstieg, wurde ab 01.04.2020 die Witwenrente ohne Kürzung mit einem Zahlbetrag iHv monatlich 654,06 € geleistet.

Auf Anforderung legte die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid für 2020 vor. Daraus ergaben sich ua Einkünfte aus Kapitalvermögen iHv 19.323 €.

Mit Bescheid vom 30.08.2021 berechnete die Beklagte die Rente ab 01.07.2021 neu. Für die Zeit ab 01.10.2021 werde die Rente laufend iHv 274,23 € ausgezahlt. Für die Zeit vom 01.07. bis 30.09.2021 ergebe sich eine Überzahlung iHv 1.135,08 €, die zu erstatten sei. Der Bescheid vom 22.06.2020 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.07.2021 nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben. Die wesentliche Änderung der Verhältnisse ergebe sich aus der Änderung des auf die Rente anzurechnenden Einkommens. Die rückwirkende Aufhebung sei zulässig, weil nach Erlass des Bescheids Einkommen erzielt worden sei, das zur Minderung der Rentenhöhe führe (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X).

Die Klägerin legte am 17.09.2021 Widerspruch ein und machte geltend, dass die Gewinne aus Veräußerungsgeschäften auch für die Zukunft angenommen worden seien, obwohl Gewinne aus Aktienvermögen nicht jedes Jahr gleich seien. Leider sei zudem nicht berücksichtigt worden, dass es einen erheblichen Verlustvortrag gebe, so dass sie de facto gar keine Einnahmen aus Kapitalvermögen habe. Es sei auch ungerecht, aufgrund des Vorjahresergebnisses des Steuerbescheids von einer konstanten monatlichen Einnahme auszugehen. Der Steuerbescheid könne nur für die Vergangenheit gelten, aber keinesfalls für die Zukunft. Die Rente ihres verstorbenen Mannes beruhe auf Beitragszahlungen, um ein berechenbares, feststehendes Einkommen als Baustein der Altersvorsorge zu haben. Es stehe der Rentenversicherung nicht zu, dieses Einkommen, das aufgrund eines Rentenvertrags verabredet worden sei, einseitig zu verändern. Durch die Hinzuverdienstregeln werde der allgemeine Gleichheitssatz verletzt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.12.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ergänzend zu ihrer bisherigen Begründung führte sie aus, die Klägerin habe im Jahr 2020 Vermögenseinkommen erzielt. Nach § 18b Abs 2 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) gelte ein Zwölftel des Betrags als monatliches Einkommen nach § 18b Abs 1 Satz 1 SGB IV. Bei der Einkommensanrechnung werde immer das Vorjahreseinkommen berücksichtigt, es sei denn, das laufende Einkommen sei mindestens 10% geringer als das Vorjahreseinkommen. Zum jetzigen Zeitpunkt habe die Klägerin keine Angaben zu ihrem Vermögenseinkommen im Jahr 2021 machen können. Ein Verlustvortrag sei bei der Einkommensanrechnung nicht berücksichtigt worden, Gewinne könnten nur um die Verluste des gleichen Jahres gemindert werden (§ 18a SGB IV).

Hiergegen richtet sich die am 19.01.2022 zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, dass es vorliegend um mehrere Grundsatzfragen gehe. So dürfe Kapitalvermögen, das bereits versteuert worden sei, nicht ein zweites Mal erfasst und mindernd bei der Rente berücksichtigt werden. Eine doppelte Belastung sei unzulässig, der Staat habe sich an den Einkünften bereits bedient. Außerdem sei der Rentenanspruch im Rahmen eines Ansparvertrages erworben worden, um einen bestimmten Betrag im Alter zur Verfügung zu haben. Einseitige Vertragsänderungen seien nach den geltenden Gesetzen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nicht e...

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