Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Analogleistung gem § 2 Abs 1 AsylbLG. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Täuschung über die Volkszugehörigkeit. Vergleichsberechnung für höhere Leistungen nach §§ 3ff AsylbLG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Täuschung über die Volkszugehörigkeit (hier: Volkszugehörigkeit der Albaner und der Roma) kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten iS des § 2 Abs 1 AsylbLG darstellen, wenn diese Täuschung nach der Anerkennungspraxis des Bundesamts bzw der maßgeblichen ministeriellen Erlasslage die Aufenthaltsdauer des Ausländers beeinflusst hat.
2. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten (hier: illegaler Aufenthalt in Deutschland über einen Zeitraum von ca fünf Jahren) kann bei der Beurteilung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens iS des § 2 Abs 1 AsylbLG ausnahmsweise unbeachtlich sein, wenn die Ausreisepflicht des Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem betroffenen Zeitraum nicht durchzusetzen war (hier: bis zum Abschluss des deutsch-jugoslawischen Rückübernahmeabkommens Ende 1996), vgl auch BSG vom 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R = BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2.
3. Bei der Vergleichsberechnung der nach § 2 Abs 1 AsylbLG begehrten und der nach §§ 3, 6 AsylbLG gewährten Leistungen (sog Höhenstreit) sind einmalige Beihilfen (hier: zur Anschaffung eines Herdes bzw Schulbeihilfen) mit einzubeziehen, vgl auch BSG vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 R = SozR 4-3520 § 9 Nr 1.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum Juni und Juli 2008 im Streit.
Die 1969 geborene Klägerin zu 1 ist kosovarische Staatsangehörige und die Mutter des 1997 in Deutschland geborenen Klägers zu 2. Sie reiste nach eigenen Angaben 1988 erstmals illegal in das Bundesgebiet ein und stellte 1994 einen Asylantrag, wobei sie angab, albanische Volkszugehörige zu sein. Ihr Asylantrag wurde mit Bescheid vom 1. August 1994 als offensichtlich unbegründet abgelehnt; in der Begründung der Entscheidung führte das Bundesamt aus, dass es sich bei der Klägerin zu 1 vermutlich um eine Angehörige der Volksgruppe der Roma handele. In der Folgezeit wurde sie zunächst geduldet, da von der tatsächlichen Unmöglichkeit von Abschiebungen albanischer Volkszugehöriger nach Jugoslawien ausgegangen wurde. Eine im März 1998 eingeleitete Rückführungsmaßnahme wurde letztlich nicht durchgeführt.
Nach Einreise in das Bundesgebiet bekam die Klägerin zu 1 mit ihrem damaligen Lebensgefährten, Herrn J., 1990 und 1991 ihre ersten Kinder. Ihr Lebensgefährte verbüßte sodann von 1993 bis 1998 eine Haftstrafe. Im November 1994 wurde er ausgewiesen, 2002 und 2007 abgeschoben.
Am 22. November 1999 stellten die Kläger Asyl- bzw. Asylfolgeanträge. Im Mai 2000 gab die Klägerin zu 1 schließlich an, eine Angehörige der Volksgruppe der Roma zu sein und legte eine Bescheinigung der S. D. Roma Union e.V. vor. Die Anträge der Kläger wurden mit Bescheid vom 11. Juli 2002 bestandskräftig abgelehnt.
Aufgrund psychischer Beeinträchtigungen wegen massiver Bedrohungen durch ihren Ehemann erhielt die Klägerin zu 1 am 18. Dezember 2006 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG); über eine solche Aufenthaltserlaubnis verfügt der Kläger zu 2 seit Juli 2007.
Während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet bezogen die Kläger über einen längeren Zeitraum als 48 Monate Leistungen nach § 3 AsylbLG. Bis Februar 2008 erhielten sie vom Antragsgegner sog. privilegierte Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, zuletzt schriftlich bewilligt mit Bescheid vom 2. Oktober 2007 "für den Monat 11.2007", wobei der Beklagte ausdrücklich darauf hinwies, dass die Festsetzung der Leistungen für die nachfolgenden Monate gesondert durch die Auszahlung oder Überweisung der Leistungen und ggf. Auszahlung an Drittempfänger oder durch einen erneuten schriftlichen Bescheid erfolge.
Erstmals mit Bescheid vom 22. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juli 2008 bewilligte der Beklagte den Klägern für den Zeitraum vom März bis Mai 2008 lediglich Leistungen nach § 3 AsylbLG. Diese Entscheidung ist Gegenstand des vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim anhängigen Klageverfahrens zum Aktenzeichen S 39 AY 161/08.
Mit Bescheid vom 6. Mai 2008 bewilligte der Beklagte den Klägern Grundleistungen nach § 3 AsylbLG "für den Monat 6.2008" in Höhe von 402,92 Euro, wobei auf die Klägerin zu 1 ein Betrag in Höhe von 184,07 Euro zzgl. Taschengeld (40,90 Euro) und auf den Kläger zu 2 ein Betrag in Höhe von 158,50 Euro zzgl. Taschengeld (20,45 Euro) entfiel. Die Leistung für Unterkunft und Heizung wurde durch Sachleistung gewährt und in einem gesonderten Bescheid geregelt. Zusätzlich wurde den Klägern mit Bescheid vom 12. Juni 2006 eine einmalige Beihilfe für die Anschaffung eines Herdes in Höhe von insg. 205 Euro gewährt. Für den Kläger zu 2 erhielt die Klägerin zu 1 mit Bescheid vom 19. Juni 2008 weiterhi...