Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt nach § 15 SGB 2. Erlass eines zweiten Eingliederungsverwaltungsakts. fehlende Aufhebung. widersprüchliche Regelungen. Unzumutbarkeit der wöchentlichen Vorsprache zum Nachweis von Eigenbemühungen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Eingliederungsverwaltungsakt wird nicht alleine dadurch konkludent aufgehoben oder abgeändert, dass nach Protesten des Hilfebedürftigen ein weiterer Eingliederungsverwaltungsakt mit anderen Verpflichtungen des Hilfebedürftigen ergeht. Fehlt es an einer Bezugnahme auf den früheren Eingliederungsverwaltungsakt bzw einer ausdrücklichen Ersetzung oder Abänderung, liegen widersprüchliche Regelungen vor.
2. Die in einem Eingliederungsverwaltungsakt festgelegte Verpflichtung, wöchentlich zu einer bestimmten Uhrzeit vorzusprechen, um die verlangten Eigenbemühungen nachzuweisen, kann eine unzumutbare Regelung darstellen, wenn objektive Gründe für die Forderung nach einer derart hohen Nachweisfrequenz - zumal durch eine persönliche Vorsprache - nicht ersichtlich sind.
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 11.10.2016 wird angeordnet.
2. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
Der Antrag ist zulässig und begründet. Insbesondere besteht auch prinzipiell ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt nach § 15 SGB II eingelegten Rechtsbehelfs, und zwar unabhängig davon, ob bereits ein Sanktionsbescheid ergangen ist (SG Gießen, Beschluss vom 10. Oktober 2016 - S 27 AS 654/16 ER -, juris).
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Rechtsbehelfe gegen den angegriffenen Eingliederungsverwaltungsakt haben nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.
Im Rahmen der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und das (private) Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegeneinander abzuwägen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug grundsätzlich den Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung eingeräumt hat. Das Aussetzungs- oder Suspensivinteresse überwiegt in entsprechender Anwendung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG regelmäßig dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Adressaten eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen dann, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist (wie in der Hauptsache) grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erlasses (genauer: der Bekanntgabe) der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. April 2015, L 4 AS 63/15 B ER; SächsLSG, Beschluss vom 19. Februar 2015, L 8 AS 1232/14 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. November 2014, L 10 AS 2254/14 B ER; SG Augsburg, Beschluss vom 01. Dezember 2015 - S 8 AS 1280/15 ER -, Rn. 19, juris).
Vorliegend sind die Pflichten des Antragstellers aufgrund des angegriffenen Eingliederungsverwaltungsaktes vom 11.10.2016 unklar. Denn es besteht eine ältere Eingliederungsvereinbarung vom 05.09.2016, die sich zeitlich mit der hier angegriffenen Eingliederungsvereinbarung überschneidet, aber einen abweichenden Inhalt hinsichtlich der Leistungsverpflichtungen hat. Damit liegt ein Verstoß gegen das Verbot der Schaffung widersprüchlicher Regelungen vor (vgl. SG Osnabrück, Urteil vom 28. Juni 2016 - S 31 AS 440/12 -, Rn. 42, juris). Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung gehen Ungereimtheiten und Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Grundsicherungsträgers (SG Lüneburg, Urteil vom 20. April 2010 - S 28 AS 1786/09 -, Rn. 68, juris).
Zwar ist den Akten zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin im vorausgegangenen Eilrechtsschutzverfahren S 14 AS 3129/16 ER die Aufhebung des älteren Eingliederungsverwaltungsaktes angekündigt hat; eine Aufhebung ist allerdings den Akten des Antragsgegners nicht zu entnehmen und wäre im Übrigen auch nicht gegenüber dem SG, sondern gegenüber dem Antragsteller zu erklären, § 37 SGB X. Ausweislich des internen Vermerks vom 22.09.2016 sollte die Stattgabe des Widerspruchs in der nächsten Einladung an den Antragsteller mitgeteilt werden; in der Einladung vom 26.09.2016 findet s...