Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hörgeräteversorgung. zuständiger Rehabilitationsträger. teilweise Weiterleitung des Rehabilitationsantrags nach Bewilligung des Vertragspreises durch die Krankenkasse. Kostenerstattungsverfahren. kein Anspruch auf höherwertige Versorgung bei einem um lediglich 5 % besseren Diskriminationswert im Störschall durch die zuzahlungspflichtige Hörhilfe
Leitsatz (amtlich)
1. Bewilligt ein Träger der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen beantragter Hörgeräteversorgung als erstangegangener Träger iS von § 14 SGB IX die Versorgung zum Vertragspreis und leitet den Antrag hinsichtlich einer gleichzeitig geltend gemachten höherwertigen Versorgung wegen eines (vermeintlich) berufsbedingten Mehrbedarfs an den zuständigen Rentenversicherungsträger weiter, widerspricht dies der Konzeption des § 14 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung und begründet deshalb auch bei an sich fristgerechter Weiterleitung nicht die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers (Anschluss an SG Karlsruhe vom 26.9.2016 - S 5 R 771/16, abrufbar bei juris).
2. Ein um lediglich 5 % besserer Diskriminationswert im Störschall beim Freiburger Sprachtest stellt regelmäßig eine als geringfügig zu vernachlässigende Verbesserung des Hörvermögens dar, welche die Anschaffung einer über der Vertragsversorgung liegenden Hörhilfe nicht rechtfertigt.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 27.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.11.2017 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin haben die Beklagte und die Beigeladene als Gesamtschuldner zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen trägt die Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
Nachdem die Beklagte Rentenversicherung als vermeintlich zweitangegangener Rehabilitationsträger die Versorgung mit einem den Vertragspreis der beigeladenen Krankenkasse übersteigenden Hörgerät abgelehnt und die Klägerin sich deshalb ein Hörgerät selbst beschafft hat, begehrt die Klägerin die Erstattung eines Betrags von 2.357,80 €.
Die Klägerin leidet unter beidseitiger Schwerhörigkeit und ist darüber hinaus stark sehbehindert. Wegen der Sehbehinderung erfolgte die Versetzung in den Bereich der telefonischen Kundenberatung.
Ihr Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO) verordnete am 06.09.2016 eine Hörhilfe. In der Folge wendete sich die Klägerin an die Firma L. GmbH (fortan Hörgeräteakustiker), welche am 15.11.2016 ein Ton- und Sprachaudiogramm erstellte und eine Beratung für Hörsysteme durchführte. Eine schriftliche oder elektronische Versorgungsanzeige erfolgte nach Angabe des Hörgeräteakustikers und der Beigeladenen nicht. In der Folge passte der Hörgeräteakustiker die zuzahlungspflichtige Hörhilfe Siemens Insio 3 px CIC 113/50 (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.12.7292 - fortan Insio) und die aufzahlungsfreie Hörhilfe „Inizia 1 Compact Power“ (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.12.0251 - fortan Inizia) an. Der Freiburger Sprachtest ergab dabei für das Insio im Freifeld mit 65dB Nutzschall ein Sprachverstehen von 95% und im Freifeld mit 65 dB Nutzschall und 60 dB Störschall ein Sprachverstehen von 55 %. Für das Inizia ergab sich im Freifeld mit 65dB Nutzschall ein identisches Sprachverstehen von 95% und im Freifeld mit 65 dB Nutzschall und 60 dB Störschall ein Sprachverstehen von 50 %. Am 10.01.2017 erstellte der Hörgeräteakustiker einen Kostenvoranschlag für die Versorgung mit dem Insio und fasste am 17.01.2017 seinen Anpass- und Abschlussbericht ab. Als Entscheidungskriterien für die Auswahl des Insio gab der Hörgeräteakustiker an, die Klägerin arbeite in einem Call-Center. Ein im-Ohr-Hörgerät (IDO) habe eine bessere Schallaufnahme beim Tragen des Headsets, ein hinter-dem-Ohr-Hörgerät wäre eher hinderlich. Die Klägerin benötige die Versorgung mit einer Sehbrille und müsse zusätzlich ein Headset zum Telefonieren tragen. Das HDO-Gerät vermindere insoweit den Tragekomfort und den Halt des Headsets. Wegen Erhalt des Pinna-Effekts (Erhalt der Ohrmuschelfunktion) bestehe ein besseres Orientierungshören mit besserer Lokalisation der Gesprächspartner außerhalb des eingeschränkten Sehbereichs. Die Speech-Master-Funktion bringe eine bessere Hörbarkeit von Sprache und weniger Höranstrengung bei Team-Besprechungen mit sich. Durch farblich groß eingefärbte IDO-Schalen werde bei visueller Einschränkung die Erkennung und die Haptik vereinfacht.
Am 03.03.2017 ging bei der Beigeladenen der Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für eine Hörgeräteversorgung ein (Anlagen: Kostenvoranschlag vom 10.01.2017, Verordnung vom 06.09.2016, Anpass- und Abschlussbericht nebst Audiogrammen vom 17.01.2017, Anmerkungen vom 03.03.2017).
Am 06.03.2017 bewilligte die Beigeladene der Klägerin gemäß den jeweils mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheiden für das linke Ohr einen Betrag von 680,51 € und für das rechte Ohr einen Betrag von 833,51 €. Als Grund dafür, dass die Kosten nicht vollständig übernommen würden...