Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für sich selbst. Nichtkenntnis vom Aufenthalt der Eltern. subjektiver Beurteilungsmaßstab. missbräuchliche Nichtkenntnis
Leitsatz (amtlich)
1. Die Nichtkenntnis vom Aufenthalt der Eltern - als Voraussetzung für die Gewährung von Kindergeld an das Kind selbst - ist nach subjektiven Maßstäben zu beurteilen.
2. Eine missbräuchliche Nichtkenntnis steht einer Kenntnis iSd § 1 Abs 2 S 1 Nr 2 BKGG gleich. Eine solche liegt jedoch nicht vor, wenn der Behörde der Aufenthaltsort der Eltern bekannt ist und diese die Auskunft gegenüber dem Antragsteller verweigert.
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24.01.2012 gegen den Aufhebungsbescheid vom 15.12.2011 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Antragstellerin einen Anspruch auf "Kindergeld für sich selbst" nach § 1 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hat.
Die 1991 geborene Antragstellerin ist als Kind zusammen mit ihren Eltern nach Portugal ausgewandert und einige Jahre später alleine in die Bundesrepublik zurückgekehrt. Am 11.11.2008 ist die Antragstellerin bei ihrer Großmutter eingezogen. Seit Ende 2008 hat die Antragstellerin nach ihren Angaben keinen Kontakt zu ihren Eltern. Sie teilte der Antragsgegnerin mehrfach mit, dass ihr der Aufenthaltsort ihrer Eltern nicht bekannt sei. Die Zahlung des Kindergeldes erfolgte bis einschließlich Dezember 2009 an die Großmutter der Antragstellerin. Nach Abschluss ihrer Schulausbildung begann die Antragstellerin eine Ausbildung als Kinderpflegerin, die bis heute noch andauert.
Nach dem es bereits in der Vergangenheit Streitigkeiten zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin bezüglich der Bewilligung des "Kindergeldes für sich selbst" gab, bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10.08.2011 für die Zeit von Januar 2010 bis Juli 2012 (Ende der Schulausbildung) Kindergeld in Höhe von monatlich 184,00 €.
Mit Bescheid vom 15.12.2011 hob die Antragsgegnerin die Bewilligung des Kindergeldes für die Zeit ab Januar 2012 auf. Laut der Begründung des Bescheids, habe die portugiesische Verbindungsstelle im Dezember 2011 bestätigt, dass der Aufenthaltsort der Mutter der Antragstellerin bekannt sei.
Mit Schriftsatz vom 24.01.2012 - Eingang bei der Antragsgegnerin am 26.01.2012 - legte die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid ein und bat um Übermittlung der Kontaktdaten der Mutter. Mit Schreiben vom 06.02.2012 weigerte sich die Familienkasse Auskunft über die Anschrift der Mutter zu erteilen.
Am 13.03.2012 reichte die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin einen Antrag auf Prozesskostenhilfe beim Sozialgericht Landshut ein, der mit einem Antragsentwurf auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verbunden war:
Die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nach dem BKGG lägen vor, da die Antragstellerin den Aufenthaltsort der Eltern nicht kenne. Hierfür legte die Antragstellerin eine eidesstattliche Versicherung vom 22.02.2012 vor.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Bescheid vom 29.12.2011 aufzuheben und das Kindergeld i.H.v. 185,00 € monatlich seit dem 01.01.2012 zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf Gerichtsakte und die beigezogene Akte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig und begründet.
1. Für Streitigkeiten nach dem BKGG insbesondere nach § 1 Abs. 2 BKKG ("Kindergeld für sich selbst") ist nach § 15 BKGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
2. a) Da bereits ein Bewilligungsbescheid für die Zeit bis August 2012 vorliegt, der mit Bescheid vom 15.12.2011 aufgehoben wurde, legt das Gericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach §§ 133, 157 BGB analog dahingehend aus, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 24.01.2012 begehrt wird. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung des Widerspruch bei Verwaltungsakten der Bundesagentur für Arbeit, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen. Nach § 7 Abs. 2 BKGG führt die Bundesagentur bei der Durchführung des Gesetzes zwar die Bezeichnung "Familienkasse". Damit wird jedoch nur zum Ausdruck gebracht, dass die Kindergeldzahlung unter den sonstigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit eine Sonderstellung einnimmt (vgl. nur Felix, Kindergeldrecht, 1 . Aufl., 2005, § 7 BKGG Rn. 18). Somit handelt es sich bei dem Aufhebungsbescheid vom 15.12.2011 um einen Verwaltungsakt der Bundesagentur für Arbeit, der eine laufende Leistung entzieht.
b) Statthafter Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist im vorliegenden Fall somit der Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Ents...