Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. spätere weitere Beitragsnachforderung trotz Bestandskraft eines Betriebsprüfungsbescheids. Bindungswirkung eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes nach § 77 SGG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestandskraft eines Betriebsprüfungsbescheids nach § 28p Abs 1 S 5 SGB 4 ermöglicht eine spätere weitere Beitragsnachforderung für den geprüften Zeitraum ohne Aufhebung des früheren Bescheids nach den §§ 44ff SGB 10 nur, wenn im Bescheidstenor des bestandskräftigen Betriebsprüfungsbescheids zB durch eine Nebenbestimmung nach § 32 SGB 10 oder durch einen "Vorläufigkeitsvermerk" klar zum Ausdruck gebracht wurde, dass dieser Zeitraum noch nicht abschließend geprüft wurde.
2. Die Bindungswirkung eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes nach § 77 SGG tritt mit dem im Bescheidstenor zum Ausdruck gebrachten Verfügungssatz ein. Ein Hinweis in der Begründung des Bescheids, dass eine Stichprobenprüfung nach § 11 BVV (juris: BeitrVV) durchgeführt wurde, entbindet den Rentenversicherungsträger nicht von der Pflicht, den früheren Bescheid nach den §§ 44ff SGB 10 teilweise aufzuheben. Es kommt nicht darauf an, dass bei Betriebsprüfungen eine Stichprobenprüfung durchgeführt wurde bzw möglich war. Entscheidend für die Reichweite der Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes ist, mit welchem Bescheidstenor dieser dem Adressaten bekanntgegeben wurde.
Tenor
I. Der Betriebsprüfungsbescheid der Beklagten vom 11.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2012 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung für das Jahr 2007.
Die Klägerin entwickelt und stellt hochwertige und innovative Dentalprodukte zur weltweiten Vermarktung unter der Marke ............. her.
In der Zeit vom 26.02.2008 bis 18.08.2008 fand für den Prüfzeitraum von 01.01.2004 bis 31.12.2007 eine Betriebsprüfung nach § 28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) statt. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid der Beklagten vom 18.08.2008 wurde für den genannten Prüfzeitraum ein Nachforderungsbetrag in Höhe von 1.997,65 € erhoben.
Am 07.09.2009 erließ das Finanzamt B-Stadt für den Zeitraum 01.04.2005 bis 31.07.2009 einen Lohnsteuerprüfbericht bezüglich der klägerischen Firma. Darin wurde unter Tz. 4 festgestellt, dass der Beigeladenen zu 1.) (Arbeitnehmerin) von der Klägerin (Arbeitgeberin) die Aufwendungen für einen Bußgeldbescheid erstattet wurden.
Im Lohnsteuerprüfbericht wird dazu wörtlich folgendes ausgeführt:
"Übernimmt die Arbeitgeberin eine derartige Geldstrafe, handelt es sich um steuerpflichtigen Arbeitslohn. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bestrafung mit dem Dienstverhältnis in Zusammenhang steht, oder dem Privatbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen ist. Da sich die Arbeitgeberin zur Übernahme der anfallenden Mehrsteuern bereit erklärt, wird eine Nettoversteuerung mit den Steuermerkmalen der betreffenden Arbeitnehmerin wie folgt vorgenommen:
|
Kalenderjahr |
2007 in EUR |
Arbeitnehmer |
C. |
StKl. |
4 |
Kinder |
|
Tabelle |
A |
Zeitraum |
Jahr |
steuerpfl. Arbeitslohn |
33.720,00 |
Freibetrag |
|
Hinzurechnungsbetrag |
|
BMG f. Versorgungsbezug |
|
nachzuversteuern |
1.052,51 |
Nachversteuerung |
laufender Arbeitslohn |
Berechnungsart |
Brutto/Netto |
Brutto für LSt-Karte |
35.357,04 |
Lohnsteuer |
515,00 |
Solidaritätszuschlag |
28,33 |
Kirchensteuer |
|
|
ev 41,20 |
Summe |
584,53 |
Am 10.05.2012 unternahm die Beklagte erneut eine Prüfung nach § 28 p SGB IV im Betrieb der Klägerin, diesmal für den Prüfzeitraum von 01.01.2008 bis 31.12.2011. Die Beklagte erließ aufgrund des Ergebnisses der Prüfung den Bescheid vom 11.05.2012 ausdrücklich für den "Prüfzeitraum vom 01.01.2008 bis 31.12.2011" und erhob darin von der Klägerin eine Nachforderung für die beitragspflichtige Bußgelderstattung im Jahre 2007 in Höhe von 887,64 €. In diesem Nachforderungsbetrag waren Säumniszuschläge in Höhe von 195,00 € für den Zeitraum 01.11.2009 bis 30.04.2012 enthalten.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 12.06.2012 Widerspruch mit der Begründung, dass für das Jahr 2007 bereits eine Betriebsprüfung stattgefunden habe. Nach der Rechtsprechung des BayLSG (vgl. nur Urteil v. 18.01.2011 - L 5 R 752/08) dürften bei einer Betriebsprüfung keine Sachverhalte aufgegriffen werden, die im Prüfzeitraum einer bereits abgeschlossenen vorangegangenen Prüfung liegen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.09.2012 zurück. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Argumentation des BayLSG, dass in bereits geprüfte Zeiträume nur nach vorheriger Rücknahme des bestandskräftigen Verwaltungsakts eingegriffen werden darf, nicht nachvollzogen werden könne, da die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung ausdrücklich das Gegenteil besage. Zudem habe sich das BayLSG in seiner Urteilsbegründung nicht ansatzweise mit der ständigen Rechtsprechung des BSG zur Stichprobenprüfung auseinandergesetzt.
Mit Schriftsatz vom 17.10.2012 erhob die Klägerin am 18.10.2012 Klage zum Sozialgericht ...