Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anspruch auf psychotherapeutische Behandlung. vier probatorische Sitzungen. keine Benennung eines Vertragspsychotherapeuten durch die Krankenkasse. Systemversagen. Anspruch auf eine entsprechende außervertragliche Behandlung zu Vertragssätzen nach dem jeweils gültigen EBM
Leitsatz (amtlich)
Ist die Krankenkasse nicht in der Lage, nach vergeblicher Suche einem psychisch erkrankten Versicherten einen Vertragsbehandler für zunächst vier probatorische Sitzungen zu benennen, besteht Anspruch auf eine entsprechende außervertragliche Behandlung zu Vertragssätzen nach dem jeweils gültigen EBM (juris: EBM-Ä 2008).
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, vorläufig die Kosten für eine außervertragliche psychotherapeutische Behandlung des Antragstellers in Form von zunächst vier probatorischen Sitzungen beim psychologischen Psychotherapeuten Dipl. Psych. C H, c/o Mut-Fabrik, A...straße 17 A, A...., zu übernehmen,
hilfsweise bei einem anderen fachlich ebenso qualifizierten Nicht- Vertragsbehandler,
hilfsweise bei einem Vertragsbehandler, der zu einem Beginn der entsprechenden Behandlung des Antragstellers in einem Zeitrahmen innerhalb von längstens vier Wochen bereit ist.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über den Anspruch des Antragstellers auf zeitnahe Behandlung bei einem psychologischen Psychotherapeuten und die dadurch entstehenden Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung in Form von zunächst vier probatorischen Sitzungen, gegebenenfalls bei einem Nicht- Vertragsbehandler.
Der 1988 geborene Antragsteller ist Verwaltungsfachangestellter. Seit Januar 2016 ist er verheiratet und hat einen im Februar 2016 geborenen Sohn. Seit 2017 leidet er unter Spielsucht und unternahm deswegen im Oktober 2017 einen Suizidversuch. Im November 2017 befand er sich in stationärer Behandlung. Nachdem er zunächst ab Februar 2018 von der Droge "Crystal" abstinent war, erlitt er im April 2018 einen Rückfall und unternahm einen weiteren Suizidversuch. Am 06.06.2018 wechselte er von der ambulanten zur stationären Psychotherapie und unterzog sich ab August 2018 einer beruflichen Wiedereingliederung. Wegen eines, wie vom Antragsteller geltend gemachten, weiteren Suizidversuches am 19.12.2018 nach Verkehrsunfall als Fußgänger nahm ihn wegen der daraus entstandenen Gesundheitsschäden das Universitätsklinikum A.... vollstationär bis 21.12.2018 auf. Da er wegen seiner andauernden Spielsucht zahlungsunfähig geworden war, eröffnete das Amtsgericht Leipzig – Insolvenzgericht – am 05.03.2019 das Insolvenzverfahren. Am 16.03.2019 unternahm er einen weiteren Suizidversuch, nachdem sich seine Ehefrau von ihm getrennt hatte. Aus diesem Grund befand er sich vom 16.03. bis 19.03.2019 vollstationär im S... Krankenhaus A..., Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik.
Mit Schreiben vom 31.05.2019, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 24.06.2019, beantragte er die Kostenübernahme für eine außervertragliche ambulante Psychotherapie bei dem Dipl. Psychologen und approbierten psychologischen Psychotherapeuten H für die Inanspruchnahme probatorischer Sitzungen im Richtlinienverfahren (Verhaltenstherapie). Bei vertraglichen Psychotherapeuten erhalte er Termine frühestens in 5 bis 6 Monaten. Ein entsprechendes Protokoll vom 02.05.2019 über die (vergebliche) Suche nach einem ambulanten Psychotherapieplatz im Richtlinienverfahren war beigefügt (10 kontaktierte Diplom Psychologen), ferner eine Erklärung des Dipl. Psych. A, psychologischer Psychotherapeut, vom 13.05.2019. Als Verdachtsdiagnosen benannte er pathologische Spielsucht und eine mittelgradige depressive Episode. Er empfehle ambulante tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Verhaltenstherapie. Eine psychotherapeutische Behandlung in seiner Praxis könne er jedoch nicht durchführen. Dipl. Psych. H bescheinigte unter dem 19.06.2019, dass der Antragsteller unter diagnostizierten Störungen mit Krankheitswert leide. Es bestehe Verdacht auf F33.1 (rezidivierende depressive Störung) und F63.0 (abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle). Er bitte um Bewilligung von vier außervertraglichen probatorischen Sitzungen zur Diagnostik und Berichterstellung, wobei er eine Abrechnung nach dem jeweils gültigen EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) beantrage; in der Folge werde ein Antrag auf Langzeittherapie angestrebt.
Laut Dringlichkeitsbescheinigung der behandelnden Hausärztin, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Dr. M, vom 13.05.2019 sei die zeitnahe Aufnahme einer Psychotherapie wegen F33.1 dringend erforderlich. Dadurch werde eine Chronifizierung der bestehenden Symptomatik verhindert. Sie diene zugleich der Krisenintervention, um weitere eventuelle Einbußen der sozialen und beruflichen Leistungsfähigkeit entgegenzuwirken und das psycho-soziale Wohlbefinden des Patienten zu erhalten und gegebenenfalls zu steigern.
Beigefügt war fe...