Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Anspruchsdauer. Beratungspflicht der Agentur für Arbeit. Verschiebung der Arbeitslosmeldung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Es besteht auf Seiten des Versicherungsträgers eine Hinweis- und Beratungspflicht, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter sofort wahrnehmen würde.
2. Die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage liegt, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen.
3. Steht ein Versicherter kurz vor Erreichen einer höheren Lebensaltersstufe, ist er über seine Gestaltungsrechte im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Arbeitslosmeldung zu beraten.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 29.05.2008 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 06.06.2008 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen für insgesamt 540 Tage zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen, außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerin 450 Tage oder 540 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.
Die am ... geborene Klägerin war von 1990 bis April 2007 als Sachbearbeiterin beim ... in ... tätig. Am 25.04.2007 erhielt sie eine fristlose Kündigung des Arbeitgebers zum 25.04.2007. Hiergegen erhob sie Kündigungsschutzklage. Auf ihren Antrag auf Arbeitslosengeld und ihre Arbeitslosmeldung vom 26.04.2007 hin bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 14.05.2007 Arbeitslosengeld ab 26.04.2007 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 54,98 € und einer Anspruchsdauer von 450 Tagen. Die Entscheidung erging vorläufig der Höhe, dem Beginn und der Dauer nach gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III). Die Bewilligung erfolgte vorläufig, da der Ausgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens abgewartet werden sollte. In der Sitzung vom 04.03.2008 schlossen die Beteiligten vor dem Arbeitsgericht ... einen Vergleich, der u.a. folgende Regelungen enthielt:
- Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund der fristgemäßen Kündigung des Beklagten vom 25.04.2007 auf Veranlassung des Arbeitgebers im Kleinbetrieb mit Ablauf des 31.12.2007.
- Der Beklagte verpflichtet sich, an die Klägerin für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung entsprechend §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 10.000,00 € brutto zu zahlen.
- Der Beklagte verpflichtet sich, das Arbeitsverhältnis für die Zeit bis zum 31.12.2007 ordnungsgemäß abzurechnen und sich ergebende Nettobeträge unter Berücksichtigung etwaiger auf öffentliche Träger kraft Gesetz übergegangener und gepfändeter Ansprüche an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte machte daraufhin gegenüber dem Arbeitgeber der Klägerin 13.470,10 € im Wege des Anspruchsübergangs geltend.
Mit Änderungsbescheid vom 29.05.2008 erkannte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab 01.01.2008 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 54,98 € zu. Die Anspruchsdauer betrug 450 Kalendertage.
Die Klägerin legte am 03.06.2008 gegen den Bescheid Widerspruch ein und trug vor, die Dauer ihres Anspruches auf Arbeitslosengeld müsse 18 Monate betragen. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus: Bei ihrer Arbeitslosmeldung zum 26.04.2007 habe die Klägerin das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Deshalb sei vorläufig eine Anspruchsdauer von 360 Tagen zu erkannt worden. Die ab 26.04.2007 erfolgte Bewilligung sei rechtmäßig gewesen. Die nachträgliche Zahlung von Arbeitsentgelt rechtfertige nicht die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Arbeitslosengeldes. Für die Dauer des Anspruches auf Arbeitslosengeld sei das Lebensalter der Klägerin maßgebend, das bei der Entstehung des Anspruches dem Grunde nach vorgelegen habe.
Die Klägerin hat am 04.07.2008 Klage erhoben. Sie trägt vor, ihr stehe eine Anspruchsdauer von 540 Tagen zu. Ihr ehemaliger Arbeitgeber habe sich im arbeitsgerichtlichen Vergleich verpflichtet, das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2007 ordnungsgemäß abzurechnen. Bei dieser Sachlage entstehe ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld zum 01.01.2008. Die Begründung der Beklagten überzeuge nicht. Denn diese führe dazu, dass ungerechtfertigt gekündigte Arbeitnehmer in bestimmten Fallkonstellationen keinen Antrag auf Arbeitslosengeld stellen sollten, da sie im Falle des Obsiegens im arbeitsgerichtlichen Prozess sozialrechtlich schlechter gestellt wären als Arbeitnehmer, die einen Antrag auf Arbeitslosengeld erst zu einem späteren Zeitpunkt stellen würden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 29.05.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab 01.01.2008 mit einer Anspruchsdauer von 540 Tagen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Zude...