Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorrangige Leistungen. Aufforderung zur Beantragung der vorzeitigen Altersrente. Unbestimmtheit des Schreibens des Grundsicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Bescheid ist unbestimmt, wenn sich eine Behörde im Tenor mit einer Bitte an einen Bürger wendet. Eine Bitte ist ein an jemanden gerichteter Wunsch. Er kann, muss aber nicht erfüllt werden. Bitten und Wünsche sind einer hoheitlichen Regelung fremd.
2. Eine Bitte ist auch keine Aufforderung im Sinne des § 12a SGB II.
Tenor
1. Der Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Pflicht der Klägerin eine vorzeitige Rente zu beantragen.
Die Klägerin ist am … 1951 geboren. Sie bezieht als Pflegeperson ihrer Eltern, die nach Pflegestufe II pflegebedürftig sind, laufend Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Mit Eingliederungsvereinbarung vom 4. November 2008 haben die Klägerin und der Beklagte vereinbart, dass die Klägerin wegen ihrer Pflegetätigkeit sich nicht bewerben muss. Laut Rentenauskunft vom 12. August 2014 würde die Klägerin bei Eintritt in die Altersrente am 1. Juni 2017 bei gleichbleibender Beitragsentrichtung 774,47 Euro monatliche Rente erhalten. Ab 1. Januar 2017 könne die Klägerin Altersrente für Frauen abschlagsfrei beantragen.
Am 6. August 2014 erließ der Beklagte einen Bescheid, dessen Tenor wie folgt lautet:
“nach den mir vorliegenden Unterlagen können Sie einen Anspruch auf eine geminderte Altersrente haben.
Bitte beantragen Sie daher nach Zugang dieses Schreibens eine geminderte Altersrente spätestens bis zum 23. August 2014 bei der Deutschen Rentenversicherung.
Teilen Sie mir bitte mit dem beigefügten Vordruck spätestens bis zum 23. August 2014 Ihre Antragstellung mit.
Sollten Sie die Voraussetzungen für eine geminderte Altersrente nicht beziehungsweise erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllen, bitte ich Sie, eine entsprechende Bescheinigung des zuständigen Leistungsträgers vorzulegen.„
In der Begründung wird ausgeführt, bei Nichtantragstellung könne der Beklagte den Antrag gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II selbst beim Rentenversicherungsträger stellen. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte sei der Beklagte zum Ergebnis gekommen, die Klägerin zur Beantragung vorrangiger Leistungen aufzufordern. Jobcenter seien gehalten wirtschaftlich zu handeln. Es seien keine maßgeblichen Gründe ersichtlich, welche gegen die Beantragung der maßgeblichen Leistung sprächen. In Abwägung ihrer Interessen mit dem Interesse an wirtschaftlicher und sparsamer Verwendung von Leistungen nach dem SGB II sei ihr die Beantragung vorrangiger Leistungen zumutbar, da Hilfebedürftigkeit in ihrem Fall beseitigt oder verringert werde. In der Ermessensentscheidung habe der Beklagte die Voraussetzungen der Unbilligkeitsverordnung geprüft. Deren Ausnahmen lägen nicht vor. Daher sei sie verpflichtet, ab Vollendung des 63. Lebensjahres auch eine geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen. Eine Anhörung hat der Beklagte nicht durchgeführt.
Den hiergegen am 21. August 2014 eingelegte Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte am 8. Oktober 2014 zurück. Ergänzend zu den Gründen des Bescheids nimmt der Widerspruchsbescheid den Gesichtspunkt auf, dass es lediglich zu einer geringen Minderung der Altersrente komme.
Mit Klage vom 17. Oktober 2014 wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid. Sie ist der Auffassung, der Beklagte habe bei der Ermessensabwägung ihre besondere Situation als Pflegeperson nicht berücksichtigt.
Die Klägerin stellte keinen Antrag.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat vorgetragen, die Aufforderung zur Beantragung einer geminderten Rente sei rechtmäßig. Insbesondere sei das erforderliche Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden. Die Minderung bei der Altersrente sei gering. Sie betrage lediglich 8,7 Prozent.
Das Sozialgericht Mainz hat mit Beschluss vom 6. November 2014 die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 angeordnet (S 14 AS 955/14 ER).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Sozialgericht konnte in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, da es in der an sie fristgerecht zugestellten Ladung zum Termin darauf hingewiesen hatte, dass auch im Falle ihres Ausbleibens die Kammer verhandeln, Beweis erheben und entscheiden kann. Der Beklagte beantragte in der mündlichen Sitzung Verhandlung.
Die Klage ist zulässig. Die erkennende Kammer legt das Klagebegehren der Klägerin als Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) aus, wobei diese begehrt, den Bescheid vom 6. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Oktober 2014 aufzuheben Die...