Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Die Kammer schließt sich der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG im Urteil vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3 - an, wonach bei einer Rente wegen Erwerbsminderung für Rentenbezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors nicht erfolgt.

 

Tenor

1. Der Überprüfungsbescheid vom 04.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2007 wird aufgehoben und die Beklagte unter Rücknahme bzw. Änderung des Rentenbescheides vom 14.07.2005 verurteilt, die Rente wegen Erwerbsminderung ohne Verminderung des Zugangsfaktors zu gewähren und den Rentenbescheid vom 04.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2007 ebenfalls entsprechend abzuändern.

2. Die Beklagte erstattet der Klägerin die außergerichtlichen Kosten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die jetzt 54jährige Klägerin (geb. am ... 1953) eine höhere Rente wegen Erwerbsminderung beanspruchen kann; dabei ist vor allem streitig, ob dieser Rente ein ungekürzter Zugangsfaktor (1,0) oder nur ein um 10,8 % verminderter Zugangsfaktor (0,892) zugrunde zu legen ist.

Mit dem Bescheid vom 14.07.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 01.08.2005 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum 30.06.2007. Hierbei kürzte sie den Zugangsfaktor um 10,8 %, so dass sich ein Zugangsfaktor von nur 0,892 ergab. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Aufgrund des BSG-Urteils vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R) beantragte die Klägerin am 01.09.2006 die Überprüfung dieses Rentenbescheides und machte gelten, dass bei Personen, bei denen die Erwerbsminderung vor dem 60. Lebensjahr eingetreten ist, ein Abschlag nicht anfällt.

In ihrer Replik vom 07.09.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Rentenversicherungsträger die Rechtsauffassung des BSG nicht teilen.

In der Folge kamen die Beteiligten zunächst überein, das Überprüfungsverfahren ruhen zu lassen.

Nachdem die Klägerin am 05.02.2007 die Weiterzahlung ihrer Rente wegen Erwerbsminderung beantragt hatte und gebeten hatte, das Überprüfungsverfahren abzuschließen, bekräftigte die Beklagte mit dem Überprüfungsbescheid vom 04.05.2007 ihren Standpunkt: Die Beklagte interpretierte § 77 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) so, dass die Höhe des Abschlages bei einer Rente wegen Erwerbsminderung, die vor der Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet wird, auf die Höhe begrenzt wird, die für den Zeitpunkt ab Vollendung des 60. Lebensjahres gilt. Daher nahm sie eine Minderung des Zugangsfaktors um 10,8 % an.

Mit einem weiteren Bescheid vom 04.05.2007 wandelte die Beklagte die befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.07.2007 in eine entsprechende Dauerrente um. Auch hierbei wurde ein verminderter Zugangsfaktor zugrunde gelegt.

Am 10.05.2007 erhob die Klägerin unter Bezugnahme auf den Standpunkt des Bundessozialgerichtes Widerspruch.

In dem abweisenden Widerspruchsbescheid vom 19.07.2007 hielt die Beklagte ihre Auffassung aufrecht und machte ergänzend darauf aufmerksam, dass die Nachteile, die sich aus der Reduzierung des Zugangsfaktors ergeben, zum Teil dadurch kompensiert werden, dass die Zurechnungszeit verlängert worden ist.

Am 20.08.2007 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht erhoben und führt nochmals aus, dass nach der BSG-Entscheidung vom 16.05.2006 eine Verminderung des Zugangsfaktors für Rentenbezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres ausgeschlossen ist. Die Argumentation der Beklagten, die Minderung des Zugangsfaktors werde durch eine verlängerte Zurechnungszeit ausgeglichen, könne nicht überzeugen, denn hierdurch könne eine rechtswidrige Verwaltungspraxis nicht begründet werden.

Somit beantragt die Klägerin sinngemäß,

den Überprüfungsbescheid vom 04.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Rücknahme bzw. Änderung des Rentenbescheides vom 14.07.2005 zu verurteilen, die Rente wegen Erwerbsminderung ohne Verminderung des Zugangsfaktors zu gewähren und den Rentenbescheid vom 04.05.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2007 ebenfalls entsprechend abzuändern.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht darauf aufmerksam, dass ihr Standpunkt der gefestigten Verwaltungspraxis, der Gesetzgebungsgeschichte und der (bisherigen) Rechtsprechung entspricht. Die Entscheidung des 4. Senates des BSG sei lediglich eine Einzelmeinung. Insoweit verweist die Beklagte auf laufende Musterverfahren.

Die Beteiligten stimmen einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ausdrücklich zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die dem Gericht vorliegende Verwaltungsakte der Beklagten und die vorliegende Prozessakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Mit dem Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung dur...

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