Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Privatarzt. Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst
Orientierungssatz
Zur Befreiung eines Privatarztes von der Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst in Hessen.
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 09.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2021 wird die Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über seinen Antrag neu zu bescheiden.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Kläger und die Beklagte haben jeweils die Hälfte der Gerichtskosten zu tragen. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
4. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Befreiung des Klägers als Privatarzt vom von der Beklagten organisierten Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD).
Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und mit Praxissitz in A-Stadt seit 2015 niedergelassen. Er ist ausschließlich privatärztlich tätig. Nach Mitteilung seines Steuerberaters vom 01.10.2020 betrugen seine Umsätze im Jahr 2017 101.862,00 € und im Jahr 2018 87.320,00 €.
Die Beklagte informierte mit Schreiben vom 15.05.2019 die ausschließlich privatärztlich tätigen Ärzte, darunter auch den Kläger, über die Einbeziehung der Privatärzte in ihren ÄBD unter den Überschriften „Teilnahme am ÄBD entfällt bei Beendigung der Praxis“, „Procedere“, „Teilnahmevoraussetzungen/Nachweise“, „Befreiungsgründe, Altersgrenze“ und „Finanzielle Rahmenbedingungen“.
Der Kläger beanstandete mit Schreiben vom 10.03.2020 die Anzahl der ihm zugeteilten Dienste im ÄBD der Beklagten, da diese unangemessen sei. Die ihm bereits für das Jahr 2020 zugewiesenen acht Dienste habe er an einen kompetenteren Kollegen abgetreten. Er arbeite als Arzt lediglich noch an zwei halben Tagen und einem ganzen Tag pro Woche mit insgesamt 14 Stunden. Die restliche Arbeitszeit sei er als Unternehmer berufsfremd an anderer Stelle tätig. Auch verbringe er den Rest der Woche bei seiner Familie in C-Stadt. Die Fahrzeit zwischen A-Stadt und dem Wohnort der Familie betrage in der Regel 2,5 Stunden in einfacher Richtung. Daher bitte er um vollständige Entbindung von der Teilnahme am ÄBD bzw. Reduzierung der Dienststunden.
Die Beklagte wertete das Schreiben als Antrag auf vollständige Befreiung von der Dienstteilnahme bzw. Reduzierung der Dienststunden.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09.04.2020 den Antrag auf Teilnahmereduzierung ab. Zur Begründung führte sie aus, nach den strikten Bestimmungen ihrer Bereitschaftsdienstordnung (BDO) könne der Teilnahmeumfang nur bei Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung reduziert werden. Eine Reduzierung des Teilnahmeumfanges aufgrund eines geringen Praxisumfanges sei hingegen nicht vorgesehen, weshalb eine Ausnahme nach § 3 Abs. 3 BDO nicht möglich sei. Die Reduzierung des Teilnahmeumfangs aufgrund geringeren Praxisumfanges sei für Niedergelassene vorgesehen. Diese Voraussetzungen erfülle er aufgrund der Tätigkeit als Privatarzt ohne Zulassung als Vertragsarzt nicht. Eine Einteilung zu acht Diensten sei nicht unverhältnismäßig.
Hiergegen legte der Kläger am 12.05.2020 Widerspruch ein. Er trug vor, das Abstellen auf das Fehlen eines parallelen Anstellungsverhältnisses verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Wenn bei reduziertem Umfang der privatärztlichen Praxis aufgrund einer Anstellung eine Reduktion der Teilnahme am ÄBD erfolge, müsse dies unabhängig von einer etwaigen Anstellung sein. § 3 Abs. 7 BDO sei auch auf Privatärzte anwendbar. § 3 Abs. 3 BDO verweise auf die nachfolgenden Bestimmungen. Andernfalls würden Privatärzte erheblich gegenüber Vertragsärzten benachteiligt werden.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2021 den Widerspruch als unbegründet zurück. In den Bescheidgründen führte sie aus, Vertragsärzte und Privatärzte hätten grundsätzlich die Möglichkeit, unter Bezug auf § 3 Abs. 7 BDO eine Reduzierung bzw. Befreiung von der Teilnahme am ÄBD zu beantragen. Am ÄBD nähmen grundsätzlich, im Umfang Ihres Versorgungsauftrages, alle Arztsitze in einer ÄBD-Gemeinschaft teil. Die Einteilung eines Privatarztes erfolge in der Regel im gleichen Umfang wie die eines Inhabers eines Arztsitzes mit einem vollen Versorgungsauftrag (Faktor 1,0). Auf Antrag könne der Teilnahmeumfang bis auf den Faktor 0,25 reduziert werden, sofern eine abhängige Beschäftigung in Voll- oder Teilzeit neben einer privatärztlichen Niederlassung durch den Privatarzt nachgewiesen werde. Der Teilnahmeumfang im ÄBD könne wegen eines geringfügigen Umfangs (14 Wochenstunden) in privatärztlicher Tätigkeit aufgrund der verbindlichen Grundlage von § 3 Abs. 3 Satz 2 BDO nicht reduziert werden. Nach Entscheidung des Vorstandes vom 26.08.2019 werde eine Reduzierung der Dienstverpflichtung nur aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses berücksichtigt. Dabei erfolg...