Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Überschreitung des Richtgrößenvolumens für Heilmittel. Setzung von Vertrauenstatbeständen gegenüber dem Vertragsarzt durch die Krankenkasse. Bindung des Beschwerdeausschusses im Fall einer Richtgrößenprüfung
Leitsatz (amtlich)
Teilt eine Krankenkasse dem Vertragsarzt schriftlich und unter Bezugnahme auf eine konkrete Heilmittelverordnung für einen individuellen Patienten mit, dass sie die Therapiekosten auch außerhalb des Regelfalls übernehmen werde, ohne dass der Vertragsarzt hierfür bei einer evtl Wirtschaftlichkeitsprüfung in Regress genommen werde, setzt sie einen Vertrauenstatbestand. An diesen ist der Beschwerdeausschuss im Fall einer Richtgrößenprüfung gebunden. Er darf die betreffenden Verordnungskosten in die Berechnung einer evtl Richtgrößenüberschreitungssumme nicht einbeziehen.
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 14.11.2013 auf den Beschluss vom 28.08.2013 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in diesem und drei weiteren Verfahren über die Berechtigung der Festsetzung einer individuellen Beratung gegenüber der Klägerin durch den Beklagten, vorliegend im Rahmen einer Heilmittel-Richtgrößenprüfung für das Jahr 2010.
Die Klägerin ist seit dem 03.01.2005 als Internistin in A-Stadt in einer Einzelpraxis niedergelassen und nimmt seitdem als hausärztlich tätige Internistin an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die Praxis werde durch die Beigeladene zu 1) der Gruppe der (vollzugelassenen Allgemeinärzte/hausärztlich tätigen Internisten) zugeordnet.
Im Jahr 2010 wies ihre Praxis eine Fallzahl von 3.676 auf, was seinerzeit einer im Verhältnis zur vorgenannten Vergleichsgruppe/Fachgruppe einer unterdurchschnittlichen Fallzahl entsprach. In der Fachgruppe waren in Hessen im Jahre 2010 (von Quartal zu Quartal schwankend) zwischen 2.832 und 2.880 Praxen tätig (mit zwischen 3.814,54 und 3.836,58 Ärzten).
Mit Schreiben vom 01.08.2012 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) der Klägerin die Eröffnung eines Verfahrens wegen Überschreitung der Richtgrößenvolumina für Heilmittel im Jahr 2010 mit. Bei der Klägerin liege eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens im Umfang von 35,85 % vor. Sie forderte die Klägerin zur substantiierten Stellungnahme auf.
Unter anderem mit Schreiben vom 11.09.2012 äußerte sich die Klägerin gegenüber der Prüfungsstelle. Sie wies hierbei unter anderem in Bezug auf bestimmte Patienten auf erfolgte Vorabgenehmigungen durch die Krankenkassen hin. Weiterhin vertrat sie im Hinblick auf einzelnen Patienten die Auffassung, dass Praxisbesonderheiten anzuerkennen seien.
Mit Bescheid vom 03.12.2012 setzte die Prüfungsstelle daraufhin eine individuelle Beratung gegenüber der Klägerin fest.
Im Rahmen ihrer Begründung erläuterte sie die Berechnung des Verordnungsvolumens der Klägerin sowie die Anerkennung von Praxisbesonderheiten und gelangte zum Ergebnis einer Richtgrößenüberschreitung im Umfang von 26,48 %. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 142 ff.) verwiesen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 02.01.2013 Widerspruch.
Zu dessen Begründung beklagte sie die fehlerhafte Anwendung der zwischen den Vertragspartnern am 12.06.2008 getroffenen Ergänzungsvereinbarung. Die Erkrankungen der Multiplen Sklerose und Parkinson seien unzureichend berücksichtigt worden. Die Prüfungsstelle führte einzelne Patienten und die in Bezug auf sie entstandenen Verordnungskosten an. Außerdem greife die Prüfungsstelle unrechtmäßig in die Grundrechte der Klägerin ein.
Am 02.02.2009 hatten auch die Verbände der Krankenkassen Widerspruch gegen den oben genannten Bescheid der Prüfungsstelle erhoben, den sie sodann am 06.07.2010 wieder zurücknahmen.
Mit Beschluss vom 20.03.2013 bot der Beklagte eine einvernehmliche Regelung an, die diese aber nicht annahm.
Nach persönlicher Anhörung der Klägerin wies der Beklagte mit Beschluss vom 28.08.2013 den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Begründung erfolgte mit Bescheid vom 14.11.2013.
Hierbei führte der Beklagte im Wesentlichen Folgendes aus:
Für die Klägerin ergebe sich für das Jahr 2010 ein (gegenüber den Berechnungen der Prüfungsstelle bereinigtes) Richtgrößenvolumen in Bezug auf Heilmittelverordnungen in Höhe von 28.385,14 Euro, was näher erläutert wird. Dieses sei durch das tatsächliche Verordnungsvolumen der Klägerin im Umfang von um 27.762,64 Euro überschritten worden. Unter Berücksichtigung der von der Prüfungsstelle bereits anerkannten Praxisbesonderheiten im Umfang von 20.245,71 Euro, die auch der Beklagte seiner Beurteilung zugrunde legte, verbleibe eine Richtgrößenüberschreitung von 7.516,93 Euro, was 26,48 % entspreche. Weitere anzuerkennende Praxisbesonderheiten habe der Beklagte aber auch nach umfassender Bewertung des vorliegenden Sachverhalts nicht feststellen können.
Hiergegen hat die Klägerin am 13.12.2013 Klage erhoben.
Zu deren...