Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Versorgung mit Hilfsmitteln. Übernahme der Kosten eines GPS-Navigationsgerätes für einen blinden Versicherten
Orientierungssatz
Die Kosten zur Anschaffung eines Navigationssystem für Blinde mit GPS und Sprachausgabe als Hilfsmittel zum Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung sind jedenfalls dann von der gesetzlichen Krankenkasse zu übernehmen, wenn sich der Versicherte ohne dieses Hilfsmittel im Nahbereich um die eigene Wohnung tatsächlich nicht zumutbar orientieren kann (Anschluss BSG, Urteil vom 25.06.2009, Az: B 3 KR 4/08 R). Allein das Vorhandensein eines Blindenlangstocks sichert dabei noch nicht die Orientierung im Nahbereich.
Tenor
1. Der Bescheid vom 14.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.04.2012 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, dem Kläger entsprechend dem Angebot der Firma D. das sprachgesteuerte Navigationssystem für Blinde “Trekker Breeze„ als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Navigationssystems für blinde Menschen mit Sprachausgabe mit dem Namen “Trekker Breeze„ zum Preis von 880,00 €.
Unter Vorlage eines entsprechenden Angebots der Firma D. A-Stadt vom 14.06.2011 beantragte der Kläger, der keinen Blindenführhund besitzt, mit Schreiben vom 04.07.2011 die entsprechende Kostenübernahme. Im Straßenverkehr müsse er sich alleine auf sein Gehör bzw. die Unterstützung durch den Blindenlangstock verlassen. Durch den Einsatz eines modernen Navigationssystems, welches speziell für die Bedürfnisse blinder Nutzer entwickelt worden sei, würde seine Mobilität deutlich verbessert. Eine genaue Ortsbestimmung, die Orientierung in unbekannter Umgebung sowie die Planung von ganzen Routen seien mit diesem Hilfsmittel so bequem und ohne sehende Unterstützung möglich.
Die Beklagte beauftragte den MDK mit einer Beurteilung des Antrags. Frau Dr. C. kam in ihrem Gutachten vom 26.07.2011 zu der Einschätzung, dass der Versicherte bereits mit diversen Blindenlangstöcken ausgerüstet sei. Des Weiteren sei ein Rezept eines Allgemeinarztes vorgelegt worden. Gemäß Hilfsmittelrichtlinie sei jedoch zur Verordnung von blinden Hilfsmitteln grundsätzlich eine augenärztliche Verordnung erforderlich. Sie empfehle deshalb der Beklagten die Kostenübernahme abzulehnen.
In einem Gutachten vom 06.09.2011 bestätigte die Gutachterin des MDK erneut diese Auffassung. Mit Hilfe der Blindenlangstöcke und dem dazugehörigen Mobilitätstraining sei der Kläger befähigt, sich zu Hause und im Freien zu bewegen und seine notwendigen Geschäfte, Arztbesuche etc. zu erledigen. Er habe nicht den besonderen Bedarf für den “Trekker Breeze„ dargelegt.
Auf dieser Grundlage wies die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 14.09.2011 zurück. Hiergegen richtet sich der Widerspruch des Klägers vom 28.09.2011. Zur Begründung führte er aus, dass er insbesondere keinen Blindenführhund besitze. Er sei sowohl beruflich auch als privat sehr viel unterwegs und da auf den Trekker angewiesen, insbesondere dann, wenn es um das Auffinden unbekannter Straßen, Arztpraxen, Geschäfte etc. gehe. Am Wochenende gehe er sehr viel mit seinem Hund im Wald spazieren. Dabei habe er sich bereits des Häufigeren verlaufen. Ein Trekker helfe ihm, seine Freizeit autonom zu gestalten und jederzeit die Orientierung wiederzuerlangen.
Die Beklagte leitete den Widerspruch erneut an Frau Dr. C. vom MDK weiter. Diese bekräftigte in einem Gutachten vom 14.10.2011 erneut ihre Vorauffassung. Es gebe inzwischen genügend Handys, auf die ein GPS-System heruntergeladen werden könne. Sowohl ein Handy als auch ein GPS-System seien Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Hierfür sei die Krankenkasse nicht kostenpflichtig.
Mit Schreiben vom 06.02.2012 bat die Beklagte den LWV Hessen um Amtshilfe zur Prüfung des Sachverhalts nach den Vorschriften des SGB XII. Dieser leitete das Gesuch an den Magistrat der Stadt Marburg, Sozialamt, weiter. Mit Bescheid vom 28.02.2012, direkt adressiert an den Kläger, lehnte der Magistrat der Stadt Marburg einen Antrag auf die Gewährung von Eingliederungshilfe ab. Er verweist auf den absoluten Nachrang von Sozialhilfemitteln. Das Blindengeld diene unter anderem zur Deckung der behinderungsbedingten Mehraufwendungen und könne auch für die Anschaffung eines Navigationsgerätes verwendet werden.
Die Beklagte wies sodann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.04.2012 zurück. Im vorliegenden Fall gehe es um ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich, weil das Navigationsgerät nicht das behinderungsbedingt stark eingeschränkte Sehvermögen wiederherstellen könne, sondern die ausgefallene bzw. eingeschränkte Körperfunktion durch die Nutzung des nicht beeinträchtigen Hörvermögens kompensiere, indem die Information über eine Sprachausgabe für den sehbehinderten Menschen hörbar gemacht würden. Im Rahmen dieses mittelbaren Behinderungsausgleichs gehe es ...