Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Bedarfsplanung. Überversorgung. Nachbesetzung eines hälftigen Vertragsarztsitzes. Fortführungsfähigkeit der Praxis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in überversorgten Regionen nach § 103 Abs 3a SGB V iVm § 103 Abs 4 SGB V kommt nur dann in Betracht, wenn die Praxis fortführungsfähig ist und zudem Versorgungsgründe bestehen.

2. Auch für einen hälftigen Vertragsarztsitz ist eine Nachbesetzung nach § 103 Abs 3a, 4 SGB V möglich.

3. Eine Fortführungsfähigkeit einer Praxis besteht nur dann, wenn ein Praxissubstrat vorhanden ist, dh, in der abgebenden Praxis eine "Tätigkeit in nennenswertem Umfang" stattgefunden hat (vgl BSG vom 5.6.2013 - B 6 KA 2/13 B).

4. Wenn im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs 3a, 4 SGB V ein ganzer Vertragsarztsitz aufgeteilt werden soll, indem eine Hälfte beim abgebenden Arzt verbleibt, die andere Hälfte abgegeben werden soll, ist für eine Nachbesetzung zur Hälfte vorauszusetzen, dass die Fallzahlen und die wöchentlichen Arbeitsstunden jedenfalls nicht unter 50 % der der Fachgruppe liegen. Ansonsten ist für den hälftigen Vertragsarztsitz, der nachbesetzt werden soll, überhaupt keine vertragsärztliche Tätigkeit bzw keine vertragsärztliche Tätigkeit in "nennenswertem" Umfang vorhanden, da dann die vertragsärztliche Tätigkeit, die stattfindet, der verbleibenden Hälfte zuzurechnen ist. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass der hälftige Vertragsarztsitz, der nachbesetzt werden soll, nicht fortführungsfähig ist und die Nachbesetzung lediglich der Kommerzialisierung dienen soll, die vom Gesetzgeber nicht erwünscht ist (vgl BSG vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R = BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13).

 

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Zulassungsausschusses vom 06.09.2017 hinsichtlich der Stattgabe des Antrags von Dr. med. B. auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens für einen hälftigen Versorgungsauftrag für den Vertragsarztsitz D-Stadt, D-Straße im Planungsbereich E-Stadt, rechtswidrig ist.

II. Die Kosten hat der Beklagte zu tragen.

Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid des beklagten Zulassungsausschusses aus der Sitzung vom 06.09.2017. Der Zulassungsausschuss entschied über den Antrag des Beigeladenen zu 1 vom 28.06.2017 auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens für einen hälftigen Versorgungsauftrag im Planungsbereich E-Stadt. Dem Antrag wurde stattgegeben. Der Beigeladene zu 1 ist Facharzt für psychotherapeutische Medizin und hatte im Oktober 2013 antragsgemäß eine hälftige Zulassung erhalten. Von dritter Seite wurde dagegen Widerspruch eingelegt, so dass die Praxistätigkeit erst zum 01.12.2014 aufgenommen werden konnte. Auf Anregung der Klägerin hat der Beigeladene zu 1 im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens einen weiteren hälftigen Versorgungsauftrag im Februar 2015 erhalten. Ab Februar 2015 verfügte der Beigeladene zu 1 damit über einen vollen Versorgungsauftrag. Hintergrund für den weiteren hälftigen Versorgungsauftrag war, dass der Beigeladene zu 1 von einer Weiterbildungsermächtigung nur mit einem vollen Versorgungsauftrag Gebrauch machen konnte. Bereits zu Beginn der ersten hälftigen Zulassung litt der Beigeladene zu 1 an einem Bandscheibenvorfall. Zu einem Rezidiv kam es 2016/2017.

Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen nach § 103 Abs. 3a, 4 SGB V lägen vor. Zwar habe der Landesausschuss bei einem Versorgungsgrad von 144,8 % eine entsprechende Feststellung getroffen. Die Fallzahl des Beigeladenen zu 1 (Durchschnitt in den Quartalen 2/16 bis 1/17) sei unterdurchschnittlich und betrage 38 % des Fachgruppendurchschnitts (23,3 Fälle im Quartal in der Praxis des Beigeladenen zu 1 zu 61 Fälle im Quartal in der Vergleichsgruppe). Auch habe der Beigeladene zu 1 weniger Stunden pro Woche zur Behandlung seiner gesetzlich versicherten Patienten aufgewandt, nämlich 9,9 Stunden pro Woche gegenüber 25,9 Stunden pro Woche (durchschnittliche Arbeitszeit der Psychotherapeuten in Bayern). Dieser geringe Tätigkeitsumfang erkläre sich aus der eingeschränkten und gesundheitlich bedingten Leistungsfähigkeit des Beigeladenen zu 1. Gleichwohl sei ein noch ausreichendes Praxissubstrat vorhanden. Denn die Versorgungstätigkeit des Beigeladenen zu 1 sei nicht so gering einzustufen, dass eine vertragsärztliche Tätigkeit gar nicht mehr oder nicht in nennenswertem Umfang ausgeübt worden wäre. Damit sei die Praxis fortführungsfähig. Auch sei von einem entsprechenden Versorgungsbedarf auszugehen, wie sie auch aus den Ausführungen des Beigeladenen zu 1 ergebe.

Gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses legte die Klägerin mit Schreiben vom 04.10.2017, bei Gericht eingegangen per Fax am 05.10.2017 Klage zum Sozialgericht München ein. Diese Klage wurde mit Schreiben vom 08.08.2018 begründet. Die Klägerin wies darauf hin, dass zwischenzeitlich das Nachbesetzungsverfahren dur...

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