Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortzahlung von Krankengeld bei nicht rechtzeitiger Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
Orientierungssatz
1. Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung mit Anspruch auf Krankengeld nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB 5 kann nur auf Grundlage einer Kette von lückenlos erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufrechterhalten werden.
2. Der Versicherte muss alles in in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan haben, um seine Ansprüche zu wahren, d. h. rechtzeitig eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit herbeizuführen.
3. Ein Ausnahmefall kann u. U. vorliegen, wenn die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausschließlich aus Gründen unterbleibt, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen sind.
4. Die Krankenkasse darf den Versicherten nicht durch eine unzutreffende Beratung daran hindern, dass dieser rechtzeitig seine Arbeitsunfähigkeit feststellen lässt (BSG Urteil vom 16. 12. 2014, B 1 KR 37/14 R).
5. Eine von der Krankenkasse vorgenommene Beratung hinsichtlich seiner Obliegenheiten zur rechtzeitigen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, die den Versicherten aus Gründen, welche die Krankenkasse zu vertreten hat, verspätet erreicht, ist einer unzutreffenden Beratung gleichzusetzen und begründet einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.
6. Aufgrund der Pflichtverletzung muss der Versicherte so gestellt werden, als wäre seine Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig bescheinigt worden.
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung der Bescheide vom 18.03.2015 und vom 20.04.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2015 über den 14.02.2015 hinaus Krankengeld zu gewähren, solange die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Krankengeld vorliegen, längstens bis 23.03.2015.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Krankengeld über den 14.02.2015 hinaus.
Der 1954 geborene Kläger war ab 22.12.2014 arbeitsunfähig erkrankt, seit 24.05.2013 war er arbeitslos und bezog Leistungen der Agentur für Arbeit (Arbeitslosengeld I). Nach dem Ende der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall wurde die Bewilligung von Arbeitslosengeld I mit Bescheid vom 02.02.2015 ab 02.02.2015 aufgehoben.
Die Orthopädische Gemeinschaftspraxis T., Dres. C., D. und E. bescheinigte die Arbeitsunfähigkeit (AU) des Klägers am 22.12.2014 bis zum 22.01.2015.
Eine weitere Feststellung der Arbeitsunfähigkeit wurde am 19.01.2015 bis 14.02.2015 von oben genannten Orthopäden unterzeichnet.
Die Folgebescheinigung wurde am 16.02.2015 ausgestellt und Arbeitsunfähigkeit bis 16.03.2015 bescheinigt.
Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 23.01.2015 aufgefordert, die Beklagte bis 30.01.2015 anzurufen, da er telefonisch nicht erreichbar sei.
Mit Schreiben vom 23.02.2015 hat die Beklagte vom Kläger diverse Unterlagen für die Erlangung des Krankengelds angefordert, diesem Schreiben war ein Informationsschreiben zum Krankengeld, u.a. zum Nachweis einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit spätestens am letzten Tag der bisher bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeit beigefügt.
Die Beklagte hat dem Kläger vom 02.02.2015 bis 14.02.2015 Krankengeld gewährt.
Mit Bescheid der Beklagten vom 18.03.2015 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass seine Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld zum 14.02.2015 ende, ab 16.02.2015 bestehe kein Anspruch auf Krankengeld mehr, es könne daher kein Krankengeld ausgezahlt werden. Es bestehe noch die Möglichkeit im Rahmen des "nachgehenden Leistungsanspruchs" Krankengeld zu erhalten, wenn die Unterbrechung der Mitgliedschaft nicht länger als einen Monat betrage. Der Monatszeitraum verlaufe vom 15.02.2015 bis 14.03.2015.
Mit weiterem Bescheid vom 18.03.2015 wurde ausgeführt, der Kläger beziehe seit 02.02.2015 Krankengeld, so dass seine Mitgliedschaft über den Bezug von Krankengeld fortgeführt werde, diese ende aber zum 14.02.2015, da die Folge-Arbeitsunfähigkeit erst am 16.02.2015 bescheinigt worden sei. Für den Nachweis der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit hätte die weitere Arbeitsunfähigkeit spätestens am 14.02.2015 ärztlich festgestellt werden müssen. Es müsse nun geprüft werden, welcher Versicherungsschutz für den Kläger ab 15.02.2015 in Frage komme.
Der Kläger erhob mit Schreiben vom 23.03.2015 Widerspruch gegen die Bescheide vom 18.03.2015. Als Begründung wurde vorgetragen, der Kläger habe nicht wissen können, dass er sich vor dem 14.02.2015 um einen Prolongation der Arbeitsunfähigkeit hätte kümmern sollen, da ihm die notwendigen Antrags -und Aufklärungsunterlagen zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugegangen waren, obwohl er diese telefonisch angefordert hatte.
Aus einem Attest der orthopädischen Gemeinschaftspraxis vom 08.04.2015 geht hervor, dass der Kläger vom 22.12.2014 bis 22.03.2015 durchgehend krankgeschrieben war.
Der Kläger hatte sich erneut am 23.03.2015 bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet.
D...