Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Partnerschaft. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft. Wohngemeinschaft zweier alleinerziehender Frauen. spätere Partnerschaftsbeziehung. Untersuchungsgrundsatz
Orientierungssatz
1. Eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 setzt voraus, dass drei kumulative Kriterien vorliegen, ohne die nicht von einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft ausgegangen werden kann. Hierzu zählen die objektiven Kriterien des Bestehens einer Partnerschaft und des Zusammenlebens in einem Haushalt und das subjektive Kriterium eines wechselseitigen Einstehens- und Verantwortungswillens. Das Vorliegen der objektiven Kriterien ist von Amts wegen festzustellen.
2. Die erste objektive Voraussetzung des Bestehens einer Partnerschaft liegt solange nicht vor, wie zwei alleinerziehende Mütter glaubhaft nur auf freundschaftlicher Basis in einer Wohngemeinschaft zusammenleben, um sich bei der Kinderbetreuung zu unterstützen. Erst mit der Entstehung einer partnerschaftlichen Beziehung nach einem Jahr des Zusammenlebens kann das Kriterium als erfüllt angesehen werden.
3. Nur das subjektive Kriterium des wechselseitigen Einstehens- und Verantwortungswillens ist Gegenstand der widerlegbaren Vermutung des § 7 Abs 3a SGB 2. Aus dieser Vermutungsregelung kann nicht geschlossen werden, dass das objektive Kriterium einer Partnerschaft bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat.
4. Der Vermutungstatbestand nach § 7 Abs 3a Nr 1 SGB 2 setzt schon nach seinem Wortlaut voraus, dass "Partner" länger als ein Jahr zusammenleben. Es ist der Jahreszeitraum, den das Gesetz Partnern zubilligt, um herauszufinden, ob man füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen will. Bei Partnern, die kürzer als ein Jahr zusammenleben, können nur gewichtige Umstände die Annahme einer bereits bestehenden Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft begründen.
Tenor
I. Der Ablehnungsbescheid vom 01.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2019 wird aufgehoben, und der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin SGB II-Leistungen in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.07.2019 bis 29.02.2020 ohne Zugrundelegung einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau C. zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Ablehnung von SGB II-Leistungen für die Klägerin für die Zeit ab dem 01.07.2019 bis zum 28.02.2020 rechtmäßig war (Bescheid vom 01.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.11.2019). Kern des Streites ist die Frage, ob (und wenn ja ggf. ab wann) die Klägerin mit ihrer Mitbewohnerin eine Bedarfsgemeinschaft bildete.
Die 1990 geborene, alleinerziehende Klägerin und ihre 2008 und 2013 geborenen Töchter zogen (mit Genehmigung des Beklagten) zum 01.06.2018 bei der ebenfalls alleinerziehenden Zeugin Frau C. und deren 2009 geborener Tochter ein. Im Antrag vom 17.04.2018 für die Genehmigung des Antrags gab die Klägerin an, sie wolle in eine Wohngemeinschaft mit einer Freundin ziehen. Die Freundin habe sich bereiterklärt, sich um die Kinder der Klägerin vor der Schule bzw. dem Kindergarten zu kümmern. Die Freundin bringe die ältere Tochter der Klägerin zur Bushaltestelle und nehme die jüngere mit in den Kindergarten. Sie kümmere sich auch um beide, wenn die Klägerin lerne (für eine mit dem Beklagten abgestimmte Qualifizierung beim Berufsförderungswerk M. zur Industrieelektrikerin). Mit Schreiben vom 08.05.2021 teilte die Klägerin auf Nachfragen des Beklagte mit, es handele sich um eine Freundin, keine Lebenspartnerin. Man wolle eine Wohngemeinschaft gründen; die Freundin sei Kinderpflegerin und übernehme die Betreuung der Kinder vor dem Hintergrund des notwendigen Lernens der Klägerin für die in Abstimmung mit dem Beklagten durchgeführte Bildungsmaßnahme. Die Klägerin legte einen am 17.05.2018 abgeschlossenen Untermietvertrag für die Zeit ab dem 01.06.2018 vor. Danach wurden von der 4-Zimmer-Wohnung, die die Zeugin bewohnte, 2 1/2 Zimmer an die Klägerin untervermietet (zu 150 Euro kalt zuzüglich 110 Euro Nebenkosten-Vorauszahlung bei einer für die gesamte Wohnung vorgesehenen Gesamtmiete von 550 Euro laut Hauptmietvertrag vom 01.12.2014). Der Beklagte bewilligte der Klägerin zunächst SGB II-Leistungen bis zum 30.06.2019 unter Einberechnung der neuen Wohnsituation ohne Zugrundelegung einer Bedarfsgemeinschaft.
Ab Mitte Juni 2019 waren die Zeugin und die Klägerin ein Paar. Die Klägerin zog im Herbst 2020 bei der Zeugin aus, nachdem man sich getrennt hatte.
Für den hier streitgegenständlichen Zeitraum ab 01.07.2019 stellte die Klägerin zunächst einen ersten Weiterbewilligungsantrag am 04.07.2019. Dabei gab sie jedoch keine Partnerschaft mit der Zeugin an. Der Beklagte nahm daraufhin einen Außendienstbesuch vor, bei dem festgestellt wurde, dass die Küche und Bad (jeweils nur einfach vorhanden) gemeinsam genutzt wurden und keine Trennung der Lebensmittel vorliege. Auf Nachfrage...