Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des an Diabetes mellitus mit Polyneuropathie erkrankten Versicherten auf Kostenübernahme für eine podologische Komplexbehandlung
Orientierungssatz
1. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB 5 haben Versicherte Anspruch auf notwendige Krankenbehandlung. Nach S. 2 Nr. 3 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung u. a. die Versorgung mit Heilmitteln.
2. Nach § 27 Abs. 1 der vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 92 Abs. 1 SGB 5 beschlossenen Heilmittel-Richtlinie sind Maßnahmen der podologischen Therapie verordnungsfähige Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Veränderungen am Fuß infolge Diabetes mellitus dienen.
3. Nach den Heilmittel-Richtlinien ist eine podologische Komplettbehandlung grundsätzlich nicht zulässig. Die Richtlinien sind für die Gerichte aber dann nicht maßgeblich, wenn sie auf einer unrichtigen Auslegung von höherrangigem Recht beruhen oder ihr Inhalt sachlich unvertretbar ist.
4. Ist die Ablehnung medizinischer Fußpflege bei bestehendem Diabetes mellitus und einer schweren sensomotorischen Polyneuropathie mit ausgeprägten trophischen Störungen und Wundheilungsstörungen der Füße mit dem Recht des Versicherten auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unvereinbar, so hat der Versicherte Anspruch auf Kostenübernahme für die erforderliche podologische Komplexbehandlung.
Nachgehend
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 1.10.2015 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 3.5.2016 verurteilt, der Klägerin aufgrund der ärztlichen Verordnung die Kosten für eine podologische Komplexbehandlung in Höhe von insgesamt 120,- Euro (je 15,- Euro, Rechnungen vom 25.1.; 7.4.; 19.5.; 30.6.; 17.8.; 12.10. und 7.12.2016 sowie 2.2.2017) zu zahlen, sowie zukünftig die Kosten für notwendige und verordnete podologische Komplexbehandlungen der aktuell gültigen Vertragssätze entsprechend zu übernehmen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme einer podologischen Behandlung. Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Die Klägerin leidet an einer Polyneuropathie, Erysipel am linken Vorfuß, Peroneusparese links, Tetraparese, gleichzeitig pathologisches Nagelwachstum und Hyperkeratose. Aufgrund dieser Erkrankungen verordnete die die Klägerin behandelnde Ärztin, Frau Dr. X., eine podologische Komplexbehandlung, dessen Genehmigung die Klägerin bei der Beklagten beantragte.
Mit Bescheid vom 01.10.2015 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die podologische Komplexbehandlung sei als Heilmittel zu beurteilen, die Verordnung könne nur auf der Grundlage der Heilmittelrichtlinien von der Krankenkasse genehmigt werden. Die Klägerin erfülle aber nicht die Voraussetzungen für eine Genehmigung. Der dagegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2016 zurückgewiesen. Nach Abschnitt E, § 27 der Heilmittelrichtlinie seien Maßnahmen der podologischen Therapie nur dann verordnungsfähige Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Schädigungen am Fuß in Folge der Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen. Die podologische Therapie kommt nur in Betracht, weil Patientinnen und Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom, die ohne diese Behandlung unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße, wie Entzündungen und Wundheilstörungen erleiden. Diese Erkrankung läge bei der Klägerin nicht vor. Eine Kostenübernahme sei deshalb nicht möglich. Auch der von der Beklagten eingeschaltete medizinische Dienst der Krankenversicherung befürwortete in seiner Stellungnahme vom 04.01.2016 die Kostenübernahme nicht.
Mit ihrer am 01.06.2016 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Ablehnung und beantragt ihren schriftsätzlichen Ausführungen zur Folge,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2016 zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für eine podologische Komplexbehandlung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt den schriftlichen Ausführungen zur Folge,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat Beweis erhoben zur Frage, ob die Erkrankung der Klägerin a) eine podologische Behandlung erfordert und b) vergleichbar ist mit einem diabetischen Fußsyndrom durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. med. H., G.hospital N ... Wegen das Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen auf Bl. 54 ff. der Gerichtsakte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die dem Verfahren beigezogen worden waren.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da die Beteiligten dazu ihre Zustimmung erteilt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Klage ist begründet. Die Klägerin wird beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, da die angefochtenen Bescheide rechtswidri...