Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Zahlung von Übergangsgeld durch einen anderen Sozialleistungsträger. Erstattungsanspruch wegen der Anrechnungsregelung in § 72 Abs 1 Nr 4 SGB 9 2018
Leitsatz (amtlich)
Wird im Zusammenhang mit einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben Übergangsgeld gewährt und im Nachgang rückwirkend Rente wegen Erwerbsminderung bewilligt, führt dies wegen der Anrechnungsregelung des § 72 Abs 1 Nr 4 SGB IX zu einem Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger nach § 104 SGB X. Die Erfüllungsfiktion des § 116 Abs 3 S 1 SGB VI steht dem nicht entgegen. § 116 Abs 3 S 1 SGB VI bewirkt lediglich eine dem § 107 Abs 1 SGB X entsprechende Erfüllungsfiktion und entfaltet damit ausschließlich Wirkung gegenüber dem Versicherten und gerade nicht gegenüber dem erstattungsberechtigten Leistungsträger.
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin das für den Zeitraum vom 01.05.2020 bis 03.09.2020 gewährte Übergangsgeld in Höhe von 5.027,46 EUR zu erstatten.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.027,46 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten aufgrund der rückwirkenden Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente die Erstattung von Übergangsgeld, welches sie im Zeitraum vom 01.05.2020 bis zum 03.09.2020 an den Versicherte, C. (im Folgenden: der Versicherte), gewährt hat.
Die Klägerin bewilligte dem Versicherten mit Bescheid vom 03.02.2020 Übergangsgeld als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 112 ff. Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Verbindung mit § 49 und §§ 64 ff. Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für die Zeit vom 05.11.2019 bis 03.09.2020 in Höhe von 1.652,70 EUR monatlich (kalendertäglich 55,09 EUR). Der Bemessung des Übergangsgeldes lag das Arbeitsentgelt der vorbezogenen Leistung (Krankengeld) zugrunde (§ 69 SGB IX).
Mit Bescheid vom 09.09.2020 bewilligte die Beklagte dem Versicherten aufgrund eines Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung am 04.03.2019 rückwirkend ab dem 01.05.2020 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 30.05.2023. Für die Zeit vom 01.05.2020 bis zum 03.09.2020 wurde die Rente nicht gezahlt, da die monatliche Rente durch das gezahlte Übergangsgeld als erfüllt gelte. Die Brutto-Rente betrug ab dem 01.05.2020 1.353,08 EUR und ab dem 01.07.2020 1.399,75 EUR.
Die laufende monatliche Rentenzahlung ab 01.10.2020 betrug 1.246,48 EUR, die einbehaltene Nachzahlung für den Zeitraum vom 01.05.2020 bis 03.09.2020 belief sich auf 1.121,84 EUR. Dies teilte die Beklagte der Klägerin durch Schreiben vom 09.09.2020 mit. Daraufhin machte die Klägerin bei der Beklagten mit Schreiben vom 24.09.2020 einen Erstattungsanspruch für die Zeit vom 01.05.2020 bis 03.09.2020 in Höhe des geleisteten Übergangsgeldes geltend, da die Höhe der zustehenden Rente ab dem 01.05.2020 nicht genannt worden sei.
Die Beklagte lehnte diesen Anspruch unter Hinweis auf die Erfüllungsfiktion des § 116 Abs. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit Schreiben vom 13.10.2020 ab. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Beklagte dem Versicherten mit, dass die Rentennachzahlung in Höhe von 1.121,84 EUR ausgezahlt werde, da der Erstattungsanspruch der Klägerin unberücksichtigt bleiben müsse.
Die Klägerin hat am 14.01.2021 Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin das von ihr für die Zeit vom 01.05.2020 bis 03.09.2020 geleistete Übergangsgeld (höchstens in Höhe der Erwerbsminderungsrente) zu erstatten und der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Begründet hat die Klägerin ihren Anspruch damit, dass unter Berufung auf das Urteil des Landesozialgerichtes (LSG) Baden-Württemberg vom 22.05.2014 - L 10 R 5615/11, die Klägerin bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund der Anrechnungsregelung des § 52 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX (inzwischen § 72 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) einen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) habe. Diesem Erstattungsanspruch stehe auch die Regelung des § 116 Abs. 3 Satz 1 SGB VI nicht entgegen. § 116 Abs. 3 Satz 1 SGB VI bewirke lediglich eine dem § 107 Abs. 1 SGB X entsprechende Erfüllungsfiktion und entfalte damit ausschließlich Wirkung gegenüber dem Versicherten und gerade nicht gegenüber dem nach § 104 SGB X erstattungsberechtigten Leistungsträger.
Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 22.04.2021 ausgeführt, dass ihres Erachtens nach ein Fall des § 116 Abs. 3 SGB VI vorliege, bei dem das Übergangsgeld auf die Rente anrechenbar sei (Erfüllungsfiktion). Eine Erstattung könne daher an die Klägerin nicht erfolgen.
Mit Schriftsatz vom 30.04.2021 hat die Klägerin ausgeführt, dass die Beklagte übersehe, dass nach dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22.05.2014 - L 10 R 5615/11 die Klägerin bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund der Anrechnungsreg...