Entscheidungsstichwort (Thema)
Corona-Infektion als Arbeitsunfall
Leitsatz (amtlich)
1. Da die Symptome bei Covid-19 unspezifisch sind, ist der Nachweis einer Infektion der in Frage kommenden Indexperson
- als Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles - grundsätzlich durch einen zeitnahen Erreger-Nachweistest zu erbringen.
2. Lässt sich bezüglich der Kontakte im versicherten Umfeld ein Nachweis, dass es sich um infektiöse Quellen handelt, nicht erbringen, kann auf den bloßen Verdacht allein die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhanges nicht gestützt werden.
3. Voraussetzung für einen erleichterten Nachweis der beruflichen Verursachung im Wege des Anscheinsbeweises muss stets sein, dass es im versicherten beruflichen Bereich immer mindestens eine nachweislich infektiöse Person gegeben hat.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 (nachfolgend: Covid-19-Virus) als Arbeitsunfall festzustellen ist.
Die 1966 geborene Klägerin ist als Nachmittagsbetreuerin an der G D-Grundschule beschäftigt.
Am 07.10.2020 hatte die Klägerin ihren letzten Arbeitstag vor Beginn der Herbstferien. Sie kümmerte sich um eine Gruppe von sieben bis acht Schülern der dritten und vierten Klassen. Weder sie noch die zu betreuenden Kinder trugen eine Mund-Nasenbedeckung. Ein Abstand von 1,5m zwischen ihr und den Schülern wurde nicht eingehalten. Der Klassenraum wurde regelmäßig belüftet.
Am 08.10.2020 litt die Klägerin unter Übelkeit. Am 10.10. beziehungsweise 11.10.2020 traten erste Erkältungssymptome auf. Es folgte der Verlust des Geruchs- und Geschmacksinnes sowie allgemeine Abgeschlagenheit.
Am 26.10.2020 erfolgte eine PCR-Testung mit negativem Ergebnis durch den Allgemeinmediziner G. Ein von diesem am 03.11.2020 durchgeführter Antikörpertest erbrachte schließlich den Nachweis einer durchgemachten Infektion mit dem Covid-19-Virus.
Mit Unfallmeldung vom 01.12.2020 teilte der Arbeitgeber der Beklagten mit, diese habe sich möglicherweise an ihrem letzten Arbeitstag vor den Schulferien im Rahmen der Nachmittagsbetreuung bei einem Schüler mit dem Covid-19-Virus angesteckt. Das Kind sei selbst nicht getestet worden und symptomfrei gewesen. Jedoch sei bekannt, dass in der Familie des Kindes mehrere Corona-Fälle aufgetreten seien. Auch der Klassenlehrer des Schülers habe sich mit dem Covid-19-Virus infiziert.
Nach Angaben der Klägerin heilte die Corona-Infektion bei ihr nicht vollständig aus, sondern es sind Langzeitfolgen (allgemeine Abgeschlagenheit; Beeinträchtigung des Geruchs- und des Geschmackssinns) verblieben.
Mit Bescheid vom 16.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2021 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Covid-19 Erkrankung der Klägerin als Arbeitsunfall ab. Erforderlich sei unter anderem ein intensiver Kontakt zu einer nachweislich infektiösen Person im unmittelbaren Tätigkeitsumfeld innerhalb der letzten 14 Tage vor Erkrankungsbeginn. Da das betreuende Kind nicht getestet worden sei, sei dieser Nachweis nicht erbracht.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 27.05.2021 vor dem Sozialgericht Speyer erhobenen Klage.
Sie trägt vor, dass sie weiterhin der Auffassung ist, dass sie sich während ihrer beruflichen Arbeit mit dem Covid-19-Virus angesteckt hat. Es sei zwar richtig, dass das betroffene Kind nicht getestet worden sei, da die entsprechenden Testungen der Kinder unterblieben seien. Es sei im Fall dieses Kindes jedoch die gesamte Familie betroffen gewesen und die Familie gelte als Ausgangspunkt zahlreicher Infektionen. Auch der Klassenlehrer des Kindes sei infiziert wurden, so dass davon auszugehen sei, dass die Ursache der Infektion das Kind sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 16.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2021 aufzuheben und festzustellen, dass ihre Covid-19-Erkrankung ein Arbeitsunfall
ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf die - aus ihrer Sicht zutreffenden - Gründe in den angegriffenen Bescheiden.
Das Sozialgericht hat zwecks Beweiserhebung Informationen über die Corona-Erkrankung der Klägerin beim Gesundheitsamt der Kreisverwaltung D vom 18.11.2021 und 05.01.2022 eingeholt. Danach ist zwar eine beim Hausarzt durchgeführte Antikörpertestung (SARS-CoV2 IgG ) beim Hausarzt positiv ausgefallen. Die Klägerin wurde jedoch vom Gesundheitsamt nicht als Corona-Erkrankte geführt, weil die PCR-Testung negativ gewesen war.
Zur Vorlage kamen der Befundbericht des Hausarztes der Klägerin, G, über die Laborwerte vom 26.10.2020 (negativer PCR-Test) und 03.11.2020 (SARS-Cov2 IgG - Antikörpertestung positiv) sowie das Meldeformular an das Gesundheitsamt vom 05.11.2020.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als k...