Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Aufhebung der Bewilligung einer Verletztenrente. Feststellung einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gem § 48 Abs 1 S 1 SGB 10. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. maßgeblicher Zeitpunkt. bestehender Gesundheitszustand. medizinisches Gutachten über Unfallfolgen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung ist nach § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 durch den Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellung der Verwaltung mit denen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts zu bestimmen.
2. Die jeweils bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse kommen insbesondere in den medizinischen Gutachten zum Ausdruck, die über die Unfallfolgen zum Zeitpunkt der maßgeblichen Bewilligung und vor der Entscheidung über eine Aufhebung eingeholt worden sind.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. August 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Entziehung einer Verletztenrente ab dem 1. November 2018.
Der 1953 geborene Kläger erlitt am 9. Juli 2014 einen Arbeitsunfall, als er auf dem Weg von der Arbeitsstätte zum Pkw auf einer Treppe im Außenbereich ausrutschte. Als Erstdiagnose nach ICD-10-GM (Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - Deutsche Version, im Folgenden: ICD-10) nannte Dr. B. ICD-10 S82.21 G (Dislozierte Fraktur distaler Unterschenkel [Tibia und Fibula]).
Laut Arztbrief der Krankenhaus K. gGmbH Chirurgische Klinik vom 15. Juli 2014 befand sich der Kläger vom 9. bis 16. Juli 2014 in stationärer Behandlung. Als Therapie erfolgte eine geschlossene Reposition einer Fraktur am Tibiaschaft durch Verriegelungsnagel sowie eine offene Reposition einer Fraktur an der distalen Fibula durch Platte. Der postoperative Verlauf war zunächst komplikationslos.
Laut Nachschaubericht des Dr. S. vom 21. Juli 2014 stellte sich der Kläger zur weiteren Behandlung vor. Die Wunden seien reizlos, jedoch eine deutliche Schwellung und leichte Rötung auf der Innenseite prätibial. Laut Zwischenbericht des Dr. B. vom 12. Oktober 2014 berichtete der Kläger u.a., Schmerzen bestünden hauptsächlich im linken Sprunggelenk. Im klinischen Befund seien die Narben weiterhin reizlos, das Gangbild hinkend und verlangsamt, es bestehe eine leichte Schwellung im Bereich des oberen Sprunggelenkes (im Folgenden: OSG). Während einer stationären Behandlung vom 23. bis 25. Oktober 2014 erfolgte die Entfernung des Osteosynthesematerials (drei Schrauben Tibia proximal). Bei der Wiedervorstellung bei Dr. B. am 9. November 2014 klagte der Kläger über Schmerzen, vor allem bei Belastung. Es bestehe noch eine Schwellung des gesamten Unterschenkels. Laut Bericht des Prof. Dr. H. anlässlich einer Vorstellung des Klägers am 6. März 2015 in der BG-Sprechstunde der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F. gibt der Kläger acht Monate nach der Unfallverletzung und osteosynthetischer Versorgung weiterhin ein schmerzhaftes Belastungsdefizit an, wobei Gründe hierfür in den Röntgenaufnahmen und auch bei der klinischen Untersuchung nicht ohne weiteres erkannt werden könnten. Es werde eine Intensivierung der Rehabilitationsmaßnahmen im Rahmen einer berufsgenossenschaftlichen stationären Weiterbehandlung (BGSW) für erforderlich gehalten; es sei eine vierwöchige BGSW in der Rehabilitationsklinik in L. verordnet worden. Ein durch die Fachklinik L. veranlasste Computertomografie (CT) des linken Unterschenkels am 15. April 2015 ergab eine Pseudoarthrosebildung im Bereich der distalen Tibiadiaphyse. Im Entlassungsbericht der Fachklinik L. vom 24. Mai 2015 wird ausgeführt, es bestehe bei dem Kläger ein linkshinkendes Gangbild bei Vollbelastung des linken Beines.
Hinsichtlich der vorliegenden Pseudoarthrose erfolgte am 22. Mai 2015 eine operative Versorgung. Prof. Dr. D. gab in seinem Zwischenbericht vom 30. Juli 2015 an, die Röntgenkontrolle zeige eine gute zunehmende Überbauung der bestehenden Pseudoarthrose. Im Aufnahmebericht der Fachklinik in L. vom 22. Oktober 2015, in der der Kläger eine weitere stationäre Rehabilitation absolvierte, führten die Ärzte aus, es bestehe eine Muskelmengenminderung im gesamten linken Bein sowie eine dezente Schwellneigung. Sämtliche Operationswunden seien reizlos verheilt. Am 3. September 2015 ergab ein CT im Vergleich zur Voruntersuchung ein unverändertes Bild einer Pseudoarthrose im Bereich der distalen Fibiadiaphyse. Laut Entlassungsbericht der Fachklinik in L. vom 22. Oktober 2015 gelang eine Kräftigung der Muskulatur, ansonsten gab der Kläger weiterhin belastungsabhängige Schmerzen im Bereich des linken Unterschenkels an. Am 23. September 2015 wurde der Kläger in den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H. we...