Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehinderte. Zustimmung zur Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Die Hauptfürsorgestelle hat über die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten nach § 12 SchwbG auch dann eine Ermessensentscheidung zu treffen, wenn zwischen den geltend gemachten Kündigungsgründen und der Behinderung kein Zusammenhang besteht. Die Hauptfürsorgestelle hat dabei alle Tatsachen, die für und gegen eine Zustimmung sprechen, zu berücksichtigen. Ob sie über die bestrittene Behauptung, der Behinderte habe seine Arbeitnehmerpflichten verletzt, Beweis erhaben muß oder sich auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränken darf, bleibt offen.
Normenkette
SchwbG § 12
Verfahrensgang
VG Karlsruhe (Urteil vom 14.12.1982; Aktenzeichen 2 K 241/82) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 14. Dezember 1982 – 2 K 241/82 – geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 08. Dezember 1981 und dessen Widerspruchsbescheid vom 08. Juni 1982 werden aufgehoben.
Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Beklagte und die Beigeladene jeweils ihre eigenen außergerichtlichen Kosten und je die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch den Kläger war notwendig.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1927 geborene Kläger, der türkischer Staatsangehöriger ist und drei unterhaltsberechtigte Kinder hat, ist seit 21.07.1981 wegen Sehschwäche, Schwerhörigkeit, Atemfunktionsstörungen, degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und rezidivierenden Harnwegsinfekten als Schwerbehinderter anerkannt (Minderung der Erwerbsfähigkeit: 50 %). Er ist seit 1968 im Werk … der Beigeladenen turnusmäßig als Müller/Abfüller/Absetzer tätig.
Mit Schreiben vom 30.07.1981 beantragte die Beigeladene beim Beklagten, der ordentlichen Kündigung des Klägers zuzustimmen, weil dieser seit etwa fünf Jahren immer wieder versuche, nur für die leichtere Arbeit als Müller und nicht auch für die schwereren Arbeiten als Abfüller oder Absetzer verwendet zu werden. Diesem Begehren könne aus grundsätzlichen Erwägungen nicht stattgegeben werden, zumal der Kläger nach allen vorliegenden Attesten des Hausarztes und des Betriebsarztes gesundheitlich alle genannten Arbeiten verrichten könne. Auf entsprechende Vorhaltungen habe der Kläger am 02.06.1981 angekündigt, sich gleich für 1/2 Jahr krankschreiben zu lassen; er sei auch vom 03. bis 14.06.1981 nicht zur Arbeit erschienen und habe eine ärztliche Bescheinigung über seine Arbeitsunfähigkeit bis 14.06.1981 vorgelegt. Schon vor dem 02.06.1981 und danach habe er den Personalchef und den Betriebsleiter des Werks … als Lügner und Betrüger bezeichnet. Auf diesen Antrag der Beigeladenen erwiderte der Kläger, er habe am 02.06.1981 auf den Vorhalt, er könne wie bisher alle Arbeiten verrichten, nur erklärt, er würde nun gern wissen, wer hier lüge, sein Hausarzt, der Betriebsarzt, die Firmenleitung oder er selbst. Andere würden sich an seiner Stelle jetzt für 1/2 Jahr krankschreiben lassen. Für seine „Gefühlsausbrüche” gegenüber dem Personalchef und dem Betriebsleiter habe er sich später entschuldigt. Vieles dabei sei nur auf Sprachschwierigkeiten zurückzuführen gewesen. Er sei bereit, wiederum alle von ihm verlangten Arbeiten zu verrichten, obwohl er nach dem Attest seines Hausarztes nicht ständig gebückt arbeiten und nicht dauernd schwere Lasten heben dürfe. Die Beigeladene hielt an ihrer Darstellung fest und betonte, der Kläger brauche nicht gebückt zu arbeiten und habe keine schweren Lasten zu tragen. Der Betriebsrat der Beigeladenen, ihr Vertrauensmann der Schwerbehinderten und das Arbeitsamt erhoben gegen die Zustimmung zur Kündigung keine Bedenken.
Durch Bescheid vom 08.12.1981 stimmte die Hauptfürsorgestelle des Beklagten der Kündigung des Klägers zu: Die von der Beigeladenen vorgetragenen Kündigungsgründe seien überwiegend verhaltensbedingt und daher arbeitsrechtlicher Natur. Die Behinderung mache es dem Kläger nicht unzumutbar, seine bisherigen Tätigkeiten zu verrichten. Er habe sich selbst dazu bereit erklärt. Somit habe allein das Arbeitsgericht darüber zu entscheiden, ob eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Es sei nach der Rechtsprechung nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Hauptfürsorgestelle den Weg zu einer arbeitsgerichtlichen Klärung solcher Vorwürfe, die wie hier nicht nur vorgeschoben seien, frei mache.
Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger Widerspruch und rügte, daß die Hauptfürsorgestelle des Beklagten überhaupt keine Ermessensentscheidung getroffen habe. Sie habe nicht geprüft, ob der Beigeladenen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar sei, wenn auch seine – des Klägers – Interessen berücksichtigt würden. Seine Behinderungen seien die Ursache für die Vorfälle im Juni 1981 gewesen. Die Vorfälle dürften also nicht völlig isoliert als „verhaltensbedingt” angesehen werden.
Mit Bescheid vom 08.06.1982 wies der Widerspruchsausschuß ...