Rn 4

Die EuBVO regelt nur das ›wie‹ einer Beweisaufnahme im Ausland, aber nicht, ›ob‹ eine solche überhaupt vorliegt. Letzteres ist nach lex fori zu entscheiden (Rauscher/v Hein Rz 18 f, der aber für Art 17 eine autonome Auslegung fordert). Einem nach nationalem Recht zulässigen ›Beweismittelimport‹ ohne Beachtung des Verfahrens der EuBVO steht diese daher nicht im Wege, soweit die EuBVO nicht bestimmte Formen des Beweismittelimports regelt.

 

Rn 4a

Das Gericht darf deshalb den Parteien aufgeben, Augenscheinsobjekte oder Urkunden vorzulegen, die sich im Ausland befinden (Gebauer/Wiedmann/Huber Art 1 EuBVO Rz 43 ff).

 

Rn 4b

Einen Zeugen darf das Gericht bitten, zur Vernehmung vor dem Prozessgericht im Forumsstaat zu erscheinen (s nur Wieczorek/Schütze/Ahrens § 363 Rz 42; Dötsch MDR 11, 269) und muss dies aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes sogar im Regelfall, wenn der Zeuge dazu bereit ist (St/J/Chr. Berger, § 363 Rz 5, anders § 363 Rn 23). Jedenfalls im EU-Ausland darf das Gericht den Zeugen auch um eine freiwillige schriftliche Zeugenaussage ersuchen (ebenso – noch zum HBÜ Frankf NJW-RR 96, 575 [OLG Frankfurt am Main 13.07.1995 - 16 U 3/95]; Rauscher/v Hein Rz 21, Nagel/Gottwald § 9 Rz 139; Schack IZVR Rz 803; Lafontaine DAR 20, 541; aA § 363 Rn 23; Celle Urt v 20.2.20 – 11 U 169/19; und noch das obiter dictum in BGH NJW 84, 2039; vgl auch § 64g ZRHO, der nach der Systematik der ZRHO nur für Beweisaufnahmen außerhalb der EuBVO gilt; vermittelnd St/J/Chr. Berger, § 363 Rz 12: zulässig bei Übersendung im Wege der Rechtshilfe). Für eine Zulässigkeit spricht ganz wesentlich die Systematik von Art 8, 9 EuGFVO, denn nur deren Art 9 III EuGFVO verweist für die Anhörung einer Person über Art 8 I 2 EuGFVO auf die Regelungen der EuBVO, Art 9 II EuGFVO für die schriftliche Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen hingegen nicht.

 

Rn 4c

Nicht um einen ›Beweismittelimport‹ handelt es sich hingegen, wenn das deutsche Prozessgericht eine zu vernehmende Person im Wege der Videoübertragung im Ausland vernimmt (ebenso zB Gebauer/Wiedmann/Huber Art 1 EuBVO Rz 46; BeckOK/von Selle § 128a Rz 16; Stadler ZZP 115 (02), 413, 441; vgl auch § 60 ZRHO). Die Gegenansicht beruft sich insb auf eine Entscheidung des britischen House of Lords (RIW 06, 301 mit zustimmender Anm Knöfel 303; ähnl Rauscher/v Hein Rz 22), das die Frage aber in seiner Entscheidung nicht thematisiert. Dass es sich im Zivilprozess um ein Verfahren mit Parteihoheit handelt (so Knöfel RIW 206, 313, 314), mag der Entscheidung des House of Lords zugrunde liegen, ändert aber nichts daran, dass die Beweisaufnahme im deutschen Zivilprozess als hoheitliche Tätigkeit des Gerichts ausgestaltet ist. Dass Videovernehmungen unter Art 17 EuZVO fallen und damit kein der lex fori unterliegender Beweismittelimport sind, entspricht auch dem deutlich zum Ausdruck gebrachten Willen des europäischen Gesetzgebers: Das zeigt nicht nur Art 17 IV 4 in seiner jetzigen Fassung, sondern Art 8 I 2 EuGFVO sowie die Neufassung von Art 19, 20 in der zum 1.7.22 in Kraft tretenden Neufassung der EuBVO.

 

Rn 4d

Die informatorische Tätigkeit eines Sachverständigen auf ausländischem Territorium ist keine Souveränitätsverletzung, wenn dieser keinen Zwang anwendet; daher ist auch sie ohne Rücksicht auf die EuBVO möglich (EuGH EuZW 13, 313 m Anm Bach = ECLI:EU:C:2013:87; Oldbg 29.11.12 – 8 W 102/12 MDR 13, 547 [OLG Saarbrücken 11.12.2012 - 6 WF 405/12]; Schack IZVR Rz 846) Auch § 64f ZRHO steht dem nicht entgegen, weil er nach der Systematik der ZRHO nur für Rechtshilfeersuchen außerhalb der EUBVO gilt.

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