Gesetzestext

 

(1) Beauftragt ein Gericht eine unmittelbare Beweisaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat, so übermittelt es der nach Artikel 3 Absatz 3 bestimmten Zentralstelle oder zuständigen Behörde in diesem Staat unter Verwendung des Formblatts I im Anhang ein entsprechendes Ersuchen.

(2) Die unmittelbare Beweisaufnahme ist nur statthaft, wenn sie auf freiwilliger Grundlage und ohne Zwangsmaßnahmen erfolgen kann. Macht die unmittelbare Beweisaufnahme die Vernehmung einer Person erforderlich, so teilt das ersuchende Gericht dieser Person mit, dass die Vernehmung auf freiwilliger Grundlage erfolgt.

(3) Die Beweisaufnahme wird von einem nach Maßgabe des Rechts des Mitgliedstaats des ersuchenden Gerichts bestimmten Gerichtsangehörigen oder von einer anderen Person wie etwa einem Sachverständigen durchgeführt.

(4) Die genannte Zentralstelle oder die zuständige Behörde des ersuchten Mitgliedstaats teilt dem ersuchenden Gericht unter Verwendung des Formblatts J im Anhang innerhalb von 30 Tagen nach Eingang des Ersuchens mit, ob dem Ersuchen stattgegeben werden kann und, soweit erforderlich, unter welchen Bedingungen nach Maßgabe des Rechts ihres Mitgliedstaats die betreffende Handlung vorzunehmen ist. Die Zentralstelle oder die zuständige Behörde kann insbesondere ein Gericht ihres Mitgliedstaats bestimmen, das an der Beweisaufnahme teilnimmt, um sicherzustellen, dass dieser Artikel ordnungsgemäß angewandt wird und die festgelegten Bedingungen eingehalten werden. Die Zentralstelle oder die zuständige Behörde fördert den Einsatz von Kommunikationstechnologie, wie Video- und Telekonferenzen.

(5) Die Zentralstelle oder die zuständige Stelle kann die unmittelbare Beweisaufnahme nur insoweit ablehnen, als

a) das Ersuchen nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung nach Artikel 1 fällt,
b) das Ersuchen nicht alle nach Artikel 4 erforderlichen Angaben enthält oder
c) die beantragte unmittelbare Beweisaufnahme wesentlichen Rechtsgrundsätzen ihres Mitgliedstaats zuwiderläuft.

(6) Unbeschadet der nach Absatz 4 festgelegten Bedingungen erledigt das ersuchende Gericht das Ersuchen nach Maßgabe des Rechts seines Mitgliedstaats.

A. Normzweck.

 

Rn 1

Die unmittelbare Beweisaufnahme durch das Prozessgericht in einem anderen Mitgliedstaat wird als Eingriff in dessen Souveränität betrachtet und bedarf deswegen der Genehmigung durch den betroffenen Staat. Allerdings zwingt die Vorschrift die Mitgliedstaaten zur Genehmigung, wenn nicht einer der in Abs 5 genannten Ablehnungsgründe vorliegt. Angesichts der Beschränkung auf Fälle, in denen die Beweisperson freiwillig mitwirkt, erscheint jedoch das Genehmigungserfordernis rechtspolitisch fragwürdig (Knöfel EuZW 08, 267, 269).

B. Genehmigungsbedürftige Vorgänge.

 

Rn 2

Art 17 setzt voraus, dass die beabsichtigte Maßnahme überhaupt als ›unmittelbare Beweisaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat‹ anzusehen ist. Dies ist bei bloßem Beweismittelimport durch das Prozessgericht nicht der Fall, wenn kein Zwang ausgeübt und damit auch die Souveränität des anderen Staates nicht berührt ist (s.o. Art 1 Rn 4). Unter Art 17 fällt daher nicht die schriftliche Vernehmung (§ 377 III) einer Person, die sich im Anwendungsbereich der VO aufhält (s Art 1 Rn 4b), wohl aber die Vernehmung einer solchen Person im Wege der Bild- und Tonübertragung (s ausf Art 1 Rn 4 f). Für die Vernehmung im Wege der Videokonferenz findet sich im europäischen Justizportal unter ein Praxisleitfaden.

 

Rn 3

In der Neufassung zum 1.7.22 wird die Vernehmung per Videokonferenz zum Regelfall erklärt und ausf geregelt (s Art 20 EuBVO nF). Außerdem regelt Art 19 V EuBVO nF künftig eine Genehmigungsfiktion, wenn die Genehmigung nicht innerhalb der dort genannten Fristen erteilt oder abgelehnt wurde.

 

Rn 4

Dass ein Beweismittel ohne vorherige Genehmigung nach dieser Vorschrift erhoben wurde, hat nicht dessen Unverwertbarkeit zur Folge und begründet allein auch keine Zweifel iSd § 529 I Nr 1 (s.o. Art 1 Rn 9).

C. Bedingungen und Ablehnungsgründe.

 

Rn 5

Ein Ersuchen um unmittelbare Beweisaufnahme mit Formblatt I kann nur aus den in Abs 5 genannten Gründen abgelehnt werden. Von diesen Gründen stellt Art 5c einen Vorbehalt zugunsten des ordre public im Staat des ersuchten Gerichts dar. Auch die gem Abs 4 möglichen ›Bedingungen‹ der Durchführung der unmittelbaren Beweisaufnahme dürfen nur der Sicherung dieses ordre public dienen (Rauscher/v. Hein Rz 10). Allerdings wird dieser ordre public nur in Ausnahmefällen betroffen sein, da die Beweisaufnahme ja nur unter freiwilliger Mitwirkung der Betroffenen und ohne Zwangsmaßnahmen stattfindet (Art 17 II 1). Ein Verstoß gegen den ordre public kommt in Betracht bei Verstoß gegen Schweigepflichten, welche vorrangig im Interesse der Allgemeinheit bestehen (weitergehend MüKoZPO/Rauscher Rz 12: Auch jegliche Verletzung von Interessen einzelner Dritter ausreichend). Auch nicht disponible Schutzpositionen wie die Menschenwürde gehören zum ordre public, sodass ein freiwilliger Lügendetektor-Test ein ordre public-Verstoß wäre (Rauscher aaO).

D. Rechtsbehelf.

 

Rn 6

Die Entscheidung einer deutschen zuständigen Behörde gem Abs 4 und ...

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