Rn 1
Die Art 21–27 betreffen die Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen. Erfasst sind grds alle Entscheidungen im sachlichen Geltungsbereich der Verordnung. Der EuGH (FamRZ 10, 1521 [Purrucker I]) hat auf Art 20 gegründete Eilmaßnahmen, die vom für die Hauptsache international unzuständigen Gericht erlassen werden, ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Art 21 ff ausgenommen. Eine Anerkennung der Eilmaßnahme käme dann nur aufgrund anderer Rechtsinstrumente (bspw KSÜ) in Betracht, sofern die weiteren Voraussetzungen des Art 20 vorliegen (BGH FamRZ 16, 799 m Anm Schulz; Anm Dimmler FamRB 16, 185). Wird die einstweilige Maßnahme indessen von einem Gericht erlassen, das sich – auf die Verordnung gestützt – für hauptsachezuständig gehalten hat, so ist sie nach Maßgabe der Art 21 ff anzuerkennen (s dazu EuGH FamRZ 10, 1521; 11, 534; ebenso BGH FamRZ 11, 542; eingehend zur Hauptsachezuständigkeit ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Brüssel IIa-Verordnung Stuttg FamRZ 14, 1567 und nachfolgend BGH FamRZ 15, 1011). Denn dann beruht sie gerade nicht auf Art 20 der Verordnung. Im Falle widerrechtlichen Verbringens eines Kindes steht Art 16 HKÜ einer Entscheidung nach Art 21 ff der Verordnung nicht entgegen (BGH FamRZ 11, 959; Anm Schulz FamRZ 11, 1046 mit der zutr Einschränkung, dass die zur Anerkennung gestellte Sorgerechtsentscheidung aus dem Staat des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes stammen muss).
Rn 1a
Art 2 I lit b Alt 2 der neuen Brüssel IIb-VO sieht dagegen nunmehr die Anerkennung und Vollstreckung einer nach Art 27 V im Wege einer vorläufigen Anordnung getroffenen Maßnahme vor.
Rn 1b
Abweisende Entscheidungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art 21 (Hausmann Art 2 Rz K 29; NK-BGB/Andrae Art 21 Rz 6; die Gefahr hinkender Ehen nimmt die VO in Kauf). Freilich bleibt die Möglichkeit einer Anerkennung abweisender Entscheidungen nach anderen – völkerrechtlichen, hilfsweise nationalen (§§ 107 ff FamFG)– Vorschriften unberührt (NK-BGB/Andrae Art 21 Rz 7 mwN).
Rn 2
Nach Art 21 I sind Entscheidungen (zu öffentlichen Urkunden und Vergleichen s Art 46) der Mitgliedstaaten grds anzuerkennen. Eine Privatscheidung ist dagegen nicht anzuerkennen (zur Nichtanwendbarkeit der Rom III-Verordnung auf Privatscheidungen EuGH FamRZ 18, 169; Anm Dimmler FamRB 18, 91; zu europäischen Privatscheidungen vgl Art 1 Rn 4, deren Anerkennung über § 107 FamFG erfolgen muss, da eine Bescheinigung nach Art 39 iVm Anhang I nicht ausgestellt werden kann [Dimmler FamRB 16, 332]; dies hat allerdings der EuGH auf Vorlage des BGH FamRZ 21, 119, Anm Dimmler FamRB 21, 2, zu klären) Der Grundsatz der automatischen Anerkennung beruht auf dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens und der von der Verordnung gewollten Titelfreizügigkeit (zum dennoch unabdingbaren Grundrechtsschutz s Britz JZ 13, 105 mwN). Die Gründe für die Nichtanerkennung sind daher auf ein Mindestmaß beschränkt (s dazu Art 22 und 23). Folge ist für Deutschland ua, dass im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten § 107 FamFG nicht anzuwenden ist (ThoPu/Hüßtege Art 21 Rz 2). Die VO überlässt es dem nationalen Recht, ob die Versagungsgründe auf Antrag oder vAw geprüft werden.
Rn 2a
In der neuen Brüssel IIb-VO sind ab dem 1.8.22 die Art 30–33 anzuwenden. Nach wie vor erfolgt die Anerkennung kraft Gesetzes. Eine deklaratorische Anerkennung ist nunmehr nicht mehr möglich. Eine interessierte Partei kann nur nach Art 30 III die Feststellung des Nichtvorliegens der in den Art 38 und 39 genannten Anerkennungsversagungsgründe beantragen. Art 38 und 39 entsprechen im Wesentlichen den in Art 22 und 23 Brüssel IIa-VO genannten Versagungsgründen.
Rn 2b
Auch eine Privatscheidung innerhalb der Mitgliedstaaten ist nunmehr anerkennungsfähig. Ob die Anerkennung einer Privatscheidung über Art 30 ff oder Art 65 ff zu erfolgen hat, ist noch unklar (näher Gruber/Möller IPRax 20, 393, 401).
Rn 3
Trotz des Anerkennungsautomatismus kann nach Art 21 III jede interessierte Partei (s dazu Art 28–36 Rn 3) im Anerkennungs- und Vollstreckungsstaat die Feststellung beantragen, dass eine Entscheidung anzuerkennen oder nicht anzuerkennen ist (vgl auch BGH FamRZ 15, 1011). Das erforderliche rechtliche Interesse einer Partei ist insb zu bejahen, wenn Behörden oder Gerichte im Anerkennungsstaat diese Frage unterschiedlich beurteilen oder der andere Ehegatte die Wirkung der ausländischen Entscheidung verneint. Antragsberechtigt können daher neben den Ehegatten bei Bestehen eines Interesses auch deren Kinder, Erben oder Behörden sein.
Art 21 IV sieht die Möglichkeit einer inzidenten Anerkennungsentscheidung vor, entfaltet jedoch keine Rechtskraft (NK-BGB/Andrae Art 21 Rz 46 mwN).