Rn 4
Die Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung sind für Ehesachen in Art 22 und für Sachen betreffend die elterliche Verantwortung in Art 23 abschließend katalogisiert. Aus dem Wortlaut dieser Vorschriften (›wird nicht anerkannt‹) folgt, dass die Anerkennungshindernisse vAw zu prüfen sind. Die Kataloggründe werden aber in Ehesachen durch die Nachprüfungsverbote der Art 24–26 und in Sachen betreffende die elterliche Verantwortung durch die der Art 24 und 26 beschränkt (s Rn 12 f). Außerdem enthalten die Art 41 und 42 für Entscheidungen über das Umgangsrecht bzw über die Rückgabe des Kindes, sofern diese mit der zugehörigen Bescheinigung nach Anhang III bzw IV der Verordnung versehen ist, ein striktes Verbot der Anfechtung der Anerkennung, mithin zugleich der amtswegigen Nachprüfung etwaiger Anerkennungshindernisse (EuGH FamRZ 11, 355 [Zarraga]).
Rn 5
Art 22 nennt in lit a–d 4 Gründe für die Nichtanerkennung von Entscheidungen in Ehesachen.
Lit a setzt eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit dem ordre public voraus, ist also auf krasse Fälle zu beschränken, auch angesichts des erreichten gemeinsamen Grundrechtsstandards der Mitgliedstaaten (kein Ordre-public-Verstoß bei Entscheidung durch das zweitangerufene Gericht, EuGH FamRZ 19, 1164, Anm Dimmler FamRB 19, 174). Lit b betrifft die Fälle, in denen das rechtliche Gehör des Antragsgegners verletzt wurde (näher unter Rn 6; weitgehende Übereinstimmung der Art 22 lit b und Art 23 lit c)
Die lit c und d erfassen die Unvereinbarkeit der Entscheidung mit einer früheren Entscheidung des Anerkennungsstaats bzw mit einer im Anerkennungsstaat anzuerkennenden früheren Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats.
Rn 6
Der Katalog der Anerkennungshindernisse in Sachen betreffend die elterliche Verantwortung findet sich in Art 23. Diese Vorschrift legt besonderes Augenmerk auf das Kindeswohl und die Gewährung des rechtlichen Gehörs.
Lit a enthält die Ordre-public-Klausel, nach der ausdrücklich das Wohl des Kindes zu berücksichtigen ist (vgl eingehend BGH FamRZ 15, 1011: Bestellung eines Verfahrensbeistandes ist nicht erforderlich). Da der Verstoß ›offensichtlich‹ sein muss, reicht im Falle einer Sorgerechtsregelung eine nur kindeswohlwidrige Entscheidung nicht aus, es kommt dann nur eine Abänderung der Erstentscheidung durch das zuständige Gericht in Betracht. Eine Anerkennung schiede aber dann aus, wenn das Kindeswohl gar nicht geprüft wurde – sicherlich ein sehr seltener Fall. Auch ein ggf gravierender Verstoß hinsichtlich der angenommenen Zuständigkeit genügt idR nicht (EuGH FamRZ 16, 111; krit Anm Dimmler FamRB 16, 137).
Lit c (zu lit b s Rn 7) gewährleistet das rechtliche Gehör von Verfahrensbeteiligten, die sich auf das Verfahren nicht eingelassen haben (vgl auch Stuttg FamRZ 14, 1567). Diese Norm hat erhebliche Relevanz für die Praxis. Die Vorschrift stellt darauf ab, dass die Zustellung dem Antragsgegner die Möglichkeit der Verteidigung eröffnet hat. Hieran wird es va fehlen, wenn der Antragsgegner die Antragsschrift nicht verstehen konnte, weil sie nicht in einer der in Art 8 der (neuen!) EG-Zustellungsverordnung Nr 1393/2007 (s dazu Art 18 Rn 2) genannten Sprachen verfasst bzw übersetzt ist, also nicht in einer Sprache, die entweder der Antragsgegner versteht oder aber die Amtssprache des Zustellungsortes ist. Weiterhin kennt die EG-Zustellungsverordnung keine fiktiven Zustellungsformen (EuGH NJW 05, 3627). Auch die Verpflichtung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten ist nicht vorgesehen (EuGH NJW 13, 443; vgl auch BGH NJW 11, 2218 [BGH 11.05.2011 - VIII ZR 114/10], wonach eine spätere Zustellung durch Aufgabe zur Post bei Nichtbestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist).
Ist die Anschrift des Empfängers dagegen unbekannt, findet die EG-Zustellungsverordnung (Art 1 II) keine Anwendung. Eine öffentliche Zustellung ist nur möglich, wenn das Gericht trotz sorgfältigster Bemühungen eine ladungsfähige Adresse des Gegners nicht ermitteln konnte (EuGH IPRax 13, 341 [EuGH 15.03.2012 - Rs. C-292/10]). Wurden derartige Nachforschungsmaßnahmen nicht ausgeschöpft, ist der Entscheidung die Anerkennung zu versagen. Allerdings kann sich der Antragsgegner auf diese Vorschrift dann nicht berufen, wenn festgestellt wird, dass er mit der Entscheidung eindeutig einverstanden gewesen ist. Das ist aber nicht etwa schon der Fall, wenn der Antragsgegner trotz Kenntnis von der Ausgangsentscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat (NK-BGB/Andrae Art 22 Rz 12).
Lit d sichert darüber hinaus das rechtliche Gehör von Personen, in deren elterliche Verantwortung die Entscheidung eingreift. Gemeint sind Fälle, in denen bspw die elterliche Sorge zwischen Eltern geregelt wird, obwohl diese einem Vormund zusteht.
Lit e und f regeln den Vorrang von späteren Entscheidungen (nicht nur eingeleiteten Verfahren, Stuttg FamRZ 14, 1567) aus dem Anerkennungsstaat und anzuerkennenden späteren Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten bzw einem Drittstaat, in dem...