Gesetzestext
(1) Für das Vollstreckungsverfahren ist das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats maßgebend.
(2) Die Vollstreckung einer von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassenen Entscheidung, die gemäß Abschnitt 2 für vollstreckbar erklärt wurde oder für die eine Bescheinigung nach Artikel 41 Abs. 1 oder Artikel 42 Abs. 1 ausgestellt wurde, erfolgt im Vollstreckungsmitgliedstaat unter denselben Bedingungen, die für in diesem Mitgliedstaat ergangene Entscheidungen gelten.
Insbesondere darf eine Entscheidung, für die eine Bescheinigung nach Artikel 41 Abs. 1 oder Artikel 42 Abs. 1 ausgestellt wurde, nicht vollstreckt werden, wenn sie mit einer später ergangenen vollstreckbaren Entscheidung unvereinbar ist.
Rn 1
Art 47 I erklärt für die Vollstreckung (nicht: für das Vollstreckbarerklärungsverfahren) die nationalen Vorschriften für anwendbar. Insoweit ist § 44 IntFamRVG einschlägig (s dazu Karlsr ZKJ 08, 472; Kobl FamRZ 07, 1034; Stuttg OLGR Stuttg 07, 15; Brandbg v 22.9.06 – 15 UF 189/06). Art 47 II 1 regelt ausdrücklich, dass anzuerkennende oder für vollstreckbar erklärte bzw in Ansehung von Art 41 oder 42 automatisch vollstreckbare Entscheidungen eines ausländischen Mitgliedstaats als mit einer inländischen Entscheidung deckungsgleich gelten. Eine wichtige praktische Auswirkung hat dies auf den Maßstab für die Abänderung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen: Wenn und weil diese als mit einer deutschen Entscheidung gleichgestellt angesehen werden, kann eine anzuerkennende ausländische Entscheidung auch nur unter den (strengeren) Voraussetzungen des § 1696 BGB abgeändert werden (s Art 1 Rn 2). Art 47 II 2 schränkt die Vollstreckung allerdings ein: Die Vollstreckung der mit einer Bescheinigung nach Anhang III bzw IV versehenen, in Art 41 genannten Umgangsentscheidung bzw von Art 42 umfassten Rückgabeentscheidung muss unterbleiben, wenn die Entscheidung mit einer später ergangenen vollstreckbaren Entscheidung unvereinbar ist. Allerdings kann eine später ergangene Entscheidung eines Gerichts des Vollstreckungsmitgliedstaates, mit der ein vorläufiges Sorgerecht gewährt wird und die nach dem Recht dieses Staates als vollstreckbar anzusehen ist, der Vollstreckung einer zuvor ergangenen und mit einer Bescheinigung versehenen Entscheidung, mit der das zuständige Gericht des Ursprungsmitgliedstaates die Rückgabe des Kindes anordnet, nicht entgegengehalten werden (EuGH FamRZ 10, 1229 [Povse] m Anm Schulz S 1307). Die Unvereinbarkeit der späteren Entscheidung bezieht sich ausschließlich auf den Ursprungsmitgliedstaat (einschränkend Schulz FamRZ 18, 805, wonach bei Umgangsverfahren auch eine jüngere Entscheidung des Vollstreckungsmitgliedstaats genügen kann).
Rn 2
In Abkehr der Rspr des EuGH (Povse) kann nach Art 50 der neuen Brüssel IIb-VO die Anerkennung und Vollstreckung einer privilegierten Entscheidung (Umgang, Rückgabe des Kindes nach § 29 VI) versagt werden, wenn und soweit sie mit einer späteren Entscheidung über die elterliche Verantwortung für dasselbe Kind des Vollstreckungsmitgliedstaats oder eines Mitgliedstaats bzw Drittstaats, dessen Entscheidung anerkennungsfähig ist, unvereinbar ist.
Rn 3
Art 56 enthält erstmals Vorschriften über die Aussetzung der Zwangsvollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats.