Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
Rn 3
Erstreckt sich der Erfüllungsort des Arbeitsverhältnisses über mehrere Länder (einschließlich Festlandssockel: EuGH Slg 02, I-2013), so kommt es für den gewöhnlichen Arbeitsort (Art 21 Nr 2a) auf den tatsächlichen Schwerpunkt an (EuGH Slg 97, I-57). Dieser befindet sich am Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Pflichten ggü seinem Arbeitgeber hauptsächlich erfüllt (EuGH Slg 93, I-4075) bzw den der Arbeitnehmer als tatsächlichen Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit gewählt hat oder an dem oder von dem aus er den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen ggü seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt (EuGH Slg 97, I-57). Eine großzügige Auslegung ist geboten: Ist der Arbeitnehmer im Außendienst tätig oder reist viel, so wird der Mittelpunkt regelmäßig durch sein Büro gebildet, von wo aus er seine Arbeit organisiert und zu dem er immer zurückkehrt (BAG AP Nr 1 zu Art 18 EuGVVO). Falls der Arbeitnehmer einverständlich dauerhaft zu einem anderen Arbeitgeber abgeordnet wird, bildet dessen Arbeitsstätte den gewöhnlichen Arbeitsort (EuGH Slg 03, I-3573). Falls keine anderen Kriterien ersichtlich sind, ist maßgebend, wo der Arbeitnehmer über die ganze Dauer des Arbeitsverhältnisses in zeitlicher Hinsicht überwiegend gearbeitet hat (EuGH Slg 02, I-2013). Bei Transportberufen bildet der Ort, von dem aus er seine Fahrten unternimmt und an dem er seine Anweisungen erhält, in der Regel den Mittelpunkt (EuGH C-384/10 Rz 39 zu Art 6 Rom I-VO); bei Flugpersonal bildet daher die Heimatbasis ein wesentliches Indiz (EuGH C-168/16). Eine vorübergehende Entsendung ändert am gewöhnlichen Arbeitsort nichts. Ausschlaggebend für das Vorliegen einer vorübergehenden Entsendung sind va der Rückkehrwille des Arbeitnehmers und der Rücknahmewille des Arbeitgebers. Eine bestimmte zeitliche Höchstgrenze gilt nicht. Der bloße (verbreitet übliche) Abschluss eines zusätzlichen Auslandseinsatzvertrags führt nicht notwendig zur Endgültigkeit. Hat der Arbeitnehmer endgültig ins Ausland gewechselt, so führen vorübergehende Anwesenheiten im Inland nicht zu einer Rückkehr an einen inländischen Arbeitsplatz. Ausnahmsweise kann nach dem Gesamtbild eine engere Verknüpfung mit einem anderen Ort bestehen. Hat bspw der Arbeitnehmer nach Beendigung einer Einsatzwechseltätigkeit nunmehr einen festen Einsatzort, an dem er nach dem Parteiwillen zukünftig tätig sein soll, so ist dieser letzte Arbeitsort maßgebend. Auf Kriterien des nationalen Arbeitsrechts kommt es demgegenüber aber nicht an (EuGH Slg 02, I-2013 Rz 53 ff).
Rn 4
Ist der Arbeitnehmer für mehrere Arbeitgeber tätig, so ist der Arbeitsort bei einem Arbeitgeber ggü dem anderen nur dann zuständigkeitsbegründend, wenn er diesem zugerechnet werden kann. Das ist – ungeachtet der gewählten rechtstechnischen Konstruktion – dann zu bejahen, wenn die Tätigkeit beim zweiten Arbeitgeber auch im Interesse des ersten Arbeitgebers übernommen wurde. Das kann sich ergeben aus: einer von vornherein bestehenden Absicht zur Abordnung; aus Änderungen des ersten Arbeitsvertrags beim Abschluss des zweiten; aus einer Verbindung oder Vereinbarung der beteiligten Arbeitgeber; aus Befugnissen eines Arbeitgebers bzgl des anderen Arbeitsvertrags (EuGH Slg 03, I-3573 Rz 24). Art 20 I erklärt nunmehr allerdings auch den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art 8 Nr 1) für anwendbar.
Rn 5
Für das Merkmal der einstellenden Niederlassung ist zweifelhaft, ob es auf die rekrutierende Niederlassung (›Unterschriftstheorie‹) oder diejenige der ersten tatsächlichen Tätigkeit (›Eingliederungstheorie‹) ankommt (offenlassend BAGE 125, 24; für rekrutierende LAG Frankfurt, IPRspr 2008, Nr 47, 139). Für die Niederlassung der ersten tatsächlichen Tätigkeit spricht dabei zwar die größere kollisionsrechtliche Relevanz der tatsächlichen Tätigkeit ggü der Flüchtigkeit des Vertragsschlusses; doch dürfte die Anknüpfung an die – etwa durch Stellenausschreibung und Einstellungsgespräch – rekrutierende Niederlassung, sofern sie nicht manipuliert ist oder im Namen und für Rechnung eines Dritten gehandelt wurde, dem Wortlaut der Vorschrift näher sein (EuGH C-384/10 Rz 52 zu Art 6 Rom I-VO; Pfeiffer FS Etzel 2011, S 291).
Rn 6
Führt keines der in Art 21 II genannten Anknüpfungsmomente für Klagen gegen den Arbeitgeber zur Zuständigkeit des Gerichts eines Mitgliedstaates, so ist für eine Anwendung dieser Vorschrift kein Raum. Es bleibt dann bei der Möglichkeit einer Klage am Wohnsitz des Arbeitgebers (vgl EuGH Slg 89, 341) oder eine etwaige drittstaatliche Zuständigkeit nach dortigem Recht.