Zusammenfassung

 

Art. 39 Brüssel Ia-VO0 Eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, die in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar ist, ist in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf.

A. Normgegenstand.

 

Rn 1

Vgl hierzu auch § 1112 ZPO, der die Vorschrift sinngemäß wiedergibt und insofern unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Normwiederholung (vgl nur EuGH Rs 272/83 – Kommission/Italien, Slg 1985, 1057) nicht ganz frei von europarechtlichen Bedenken ist. Die Norm steht für eine grundlegende Abkehr vom Modell des Exequaturverfahrens (hierzu eingehend Domej RabelsZ 78 [2014], 509, 510 ff; Geimer, FS Schütze 2015, 109, 110 ff), bei dem erst die von einem inländischen Gericht erteilte Vollstreckbarerklärung Vollstreckungstitel wird. Stattdessen wird die ausländische Entscheidung automatisch auch zur Grundlage der Vollstreckung im Inland (vgl § 794 I Nr 9 ZPO); folgerichtig kann sich der Gläubiger unter Vorlage von ausländischer Entscheidung und zugehöriger Bescheinigung (Art 53) unmittelbar an die Vollstreckungsbehörden des ersuchten Staates wenden (vgl Art 42). Es liegt dann beim Schuldner, Gründe für die Versagung von Anerkennung (Art 45) und/oder Vollstreckung (Art 46) im Rahmen des Verfahrens nach Art 46 ff geltend zu machen. Art 27 EuVTVO räumt dem Gläubiger ein Wahlrecht ein, ob er nach dieser Verordnung oder nach der EuGVO vorgehen will.

B. Vollstreckbare Entscheidung.

 

Rn 2

Die Entscheidung (vgl Art 2 lit a) muss im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar sein. Maßgeblich hierfür ist dessen Recht, ungeachtet tatsächlicher Durchsetzungshindernisse. Vollstreckbar iSd Norm ist damit ggf auch ein in Südzypern über ein in Nordzypern belegenes Grundstück ergangenes Urt (EuGH C-420/07 – Apostolides/Orams Rz 71, BeckRS 2009, 704419). Vorläufige Vollstreckbarkeit ist ausreichend (BGH NJW-RR 06, 1290, 1291 [BGH 08.12.2005 - IX ZB 28/04]). Für den Sonderfall des späteren Wegfalls der Vollstreckbarkeit vgl Art 44 II.

 

Rn 3

Mit Blick auf den Wortlaut der EuGVO, der nur auf die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat abstellt, ist zweifelhaft, ob die VO Deutschland gestattet, ein Bestimmtheitserfordernis nach nationalem Maßstab aufzustellen. Der bisher praktizierte Lösungsansatz, wonach der deutsche Richter im Vollstreckbarerklärungsverfahren eine für die inländische Vollstreckung hinreichende Konkretisierung durch ergänzende Auslegung versuchen musste (BGH Beschl v 21.11.13 – IX ZB 44/12, BeckRS 13, 21937, Rz 9 ff [nicht ausdrücklich aufgeführte Forderungen]; BGH NJW-RR 09, 854 [BGH 05.02.2009 - IX ZB 136/06] [ungenaue Parteibezeichnung]) ist mit dem Entfall der besonderen Vollstreckbarerklärung nicht mehr praktikabel. Im Rahmen des durch die Verordnung Gebotenen obliegen Auslegungsanstrengungen damit den Vollstreckungsbehörden iSv Art 42. Streng genommen ist dies von der darüber hinausgehenden Anpassung ausländischer Entscheidungen (Art 54 I) zu unterscheiden. Man wird gleichwohl zu erwägen haben, den Rechtsbehelf des Art 54 II (vgl Art 54 Rn 3) in wortlautübersteigender Interpretation (nach deutschem Methodenverständnis: analog) heranzuziehen.

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