Prof. Dr. Boris Schinkels
Zusammenfassung
Art. 47 Brüssel Ia-VO(1) Der Antrag auf Versagung der Vollstreckung ist an das Gericht zu richten, das der Kommission von dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß Artikel 75 Buchstabe a mitgeteilt wurde.
(2) Für das Verfahren zur Versagung der Vollstreckung ist, soweit es nicht durch diese Verordnung geregelt ist, das Recht des ersuchten Mitgliedstaats maßgebend.
(3) Der Antragsteller legt dem Gericht eine Ausfertigung der Entscheidung und gegebenenfalls eine Übersetzung oder Transliteration der Entscheidung vor.
Das Gericht kann auf die Vorlage der in Unterabsatz 1 genannten Schriftstücke verzichten, wenn ihm die Schriftstücke bereits vorliegen oder wenn es das Gericht für unzumutbar hält, vom Antragsteller die Vorlage der Schriftstücke zu verlangen. Im letztgenannten Fall kann das Gericht von der anderen Partei verlangen, diese Schriftstücke vorzulegen.
(4) Von der Partei, die die Versagung der Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt, kann nicht verlangt werden, dass sie im ersuchten Mitgliedstaat über eine Postanschrift verfügt. Es kann von ihr auch nicht verlangt werden, dass sie im ersuchten Mitgliedstaat über einen bevollmächtigten Vertreter verfügt, es sei denn, ein solcher Vertreter ist ungeachtet der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes der Parteien vorgeschrieben.
A. Zuständiges Gericht des ersuchten Staates (Abs 1).
Rn 1
Deutschland hat zu Art 75 lit a das LG notifiziert. § 1115 I, II 1 ZPO weist die ausschließliche Zuständigkeit dem LG zu, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat. Soweit ein solcher im Inland nicht besteht, ist der Ort maßgeblich, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll (§ 1115 II 2 ZPO). Das Verfahren ist kontradiktorisch ausgestaltet.
B. Recht des Verfahrens (Abs 2).
Rn 2
Abs 2 klärt für das Versagungsverfahren im ersuchten Staat (Art 2 lit e) die Frage des anwendbaren Prozessrechts. Danach genießen alle verordnungsunmittelbaren Verfahrensvorgaben Vorrang. Im Übrigen ist das Recht des ersuchten Mitgliedstaates maßgeblich. Die Entscheidung ergeht in Deutschland gem § 1115 IV 1 ZPO in Form des Beschlusses. Zur Bindungswirkung tatsächlicher Feststellungen des Ursprungsgerichts hinsichtlich seiner Zuständigkeit vgl Art 45 Rn 18. Im Übrigen liegt die Beweislast für das Vorliegen von Tatsachen, die eine Versagung der Anerkennung begründen, bei demjenigen, der sich gegen die Anerkennungsfähigkeit wendet (BGH NJW 06, 701, 702 [BGH 06.10.2005 - IX ZB 360/02]); eine Amtsermittlungspflicht besteht insoweit nicht (BGH NJW-RR 12, 1013, 1014 [BGH 14.06.2012 - IX ZB 183/09]; NJW-RR 08, 586 [BGH 12.12.2007 - XII ZB 240/05]). Bei Vorliegen eines Versagungsgrundes der VO kann nicht auf anerkennungs- und damit vollstreckungsfreundlicheres nationales Recht zurückgegriffen werden. Vielmehr muss dem Antrag entsprochen werden. Soweit die Vollstreckung wegen Eingreifens eines Anerkennungsversagungsgrundes versagt worden ist, kommt aber unter der Voraussetzung internationaler Zuständigkeit eine erneute Klage im ersuchten Staat in Betracht.
C. Vorlage von Entscheidung und Übersetzung (Abs 3).
Rn 3
Nach UAbs 1 hat der Antragsteller eine Ausfertigung (vgl hierzu auch Art 42 Rn 2) der Entscheidung ggf nebst Übersetzung bzw Transliteration (Art 57) vorzulegen. Darauf kann gem UAbs 2 S 1 bei Unzumutbarkeit für den Antragsteller verzichtet werden. Diesenfalls kann nach S 2 die Vorlage der anderen Partei auferlegt werden; ein Zumutbarkeitserfordernis für Letztere nennt die Norm nicht.
D. Vorgaben für Postanschrift und Vertreter des Schuldners im ersuchten Staat (Abs 4).
Rn 4
Der Anordnung, dass der Vollstreckungsschuldner keine Postanschrift im ersuchten Staat (Art 2 lit e) haben muss (Abs 4 S 1), kommt im Konfliktfalle Anwendungsvorrang vor nationalen Vorgaben zu. Unvereinbar mit der Wertung der Norm wäre bspw eine fiktive Inlandszustellung anstelle einer Zustellung an den bekannten ausländischen Wohnsitz. Eine vergleichbare Regelung zu Gunsten des Vollstreckungsgläubigers enthält Art 41 III 1.
Rn 5
Ein Erfordernis eines ›bevollmächtigten Vertreters‹ im ersuchten Staat (Abs 4 S 2) kann dessen Prozessrecht dem Schuldner demgegenüber auferlegen, soweit dieses diskriminierungsfrei, dh unabhängig von Staatsangehörigkeit und Wohnsitz der Parteien aufgestellt wird. § 78 ZPO dürfte hiermit nicht kollidieren. Autonom-nationale Vorgaben der Prozessfähigkeit, die zum Erfordernis des Handelns eines gesetzlichen Vertreters führen können, betrifft die Norm nicht. Für den Vollstreckungsgläubiger trifft Art 41 III 2 eine vergleichbare Anordnung.