Gesetzestext
Das nach § 152 Abs. 2 zuständige Gericht kann ein Verfahren an das Gericht des früheren gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes verweisen, wenn ein Elternteil den Aufenthalt des Kindes ohne vorherige Zustimmung des anderen geändert hat. Dies gilt nicht, wenn dem anderen Elternteil das Recht der Aufenthaltsbestimmung nicht zusteht oder die Änderung des Aufenthaltsorts zum Schutz des Kindes oder des betreuenden Elternteils erforderlich war.
A. Allgemeines.
Rn 1
Die Vorschrift begründet für das nach § 152 II zuständige Gericht eine Befugnis zur Verweisung des Verfahrens an das Gericht des früheren gewöhnlichen Aufenthalts bei eigenmächtiger Änderung des Aufenthalts des Kindes. Die Vorschrift will im Interesse des betroffenen Kindes Erschwernissen in den Bemühungen um eine vernünftige Lösung des Elternkonflikts entgegenwirken, die dadurch entstehen, dass ein Elternteil ohne vernünftigen Grund unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts des anderen Elternteils vor Anhängigkeit des Verfahrens eine räumliche Distanz zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil herstellt, die sich zum Nachteil des Kindes auswirkt. Zudem soll dem eigenmächtigen Elternteil der Vorteil des ortsnahen Gerichts genommen werden (BTDrs 16/6308, 235; vgl auch Bork/Jacoby/Schwab/Zorn § 154 Rz 1 mwN; Hamm FamRZ 11, 55).
Rn 2
Die in das Gesetz übernommene Regelung ist eigentlich mit Blick auf die in den §§ 3, 4 enthaltenen Regelungen in mehrfacher Hinsicht nicht ganz stringent: ein (an sich nach § 152 II örtlich zuständiges!) Gericht ›kann‹ das Verfahren (anstelle einer Abgabe) verweisen, hat also insoweit Ermessen. Der Gesetzesentwurf sah noch eine im Ermessen des Gerichts stehende und nicht bindende Abgabe des Verfahrens iSv § 4 vor (BTDrs 16/6308, 235). Auf Anregung des Bundesrats (BRDrs 309/07, 38 = BTDrs 16/6308, 374f), die Abgabe nicht als Kann-Vorschrift auszugestalten und die Bindungswirkung des Abgabebeschlusses zu regeln, wurde die Vorschrift zwar zugunsten der (bindenden) Verweisung geändert, das dem Gericht eingeräumte Ermessen aber beibehalten. Letztlich soll die geltende Fassung der Vorschrift zugunsten der Beschleunigung die Vorteile der Verweisung eines Verfahrens mit dem gleichwohl gerade in Kindschaftssachen erforderlichen Ermessen vereinen. Denn der Verbleib des Verfahrens bei dem nach § 152 II zuständigen Gericht kann gerade aus Gründen des Kindeswohls geboten sein.
Rn 3
Nach ihrem Wortlaut ist die Vorschrift anwendbar, wenn die Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts durch einen Elternteil erfolgt. Eine entsprechende Anwendung ist aber möglich, wenn das Aufenthaltsbestimmungsrecht mehreren Vormündern (Mitvormundschaft von Ehegatten gem §§ 1775, 1797 I BGB) oder Pflegern (§§ 1915, 1775, 1797 I BGB) zusteht (Prütting/Helms/Hammer § 154 Rz 4; MüKoFamFG/Heilmann § 154 Rz 8). Uneinheitlich wird beurteilt, ob auch der Aufenthaltswechsel durch einen Dritten die Anwendung der Vorschrift eröffnet (vgl hierzu Jaeger FuR 06, 410; MüKoFamFG/Heilmann § 154 Rz 7; dagegen Prütting/Helms/Hammer § 154 Rz 4).
Rn 4
§ 154 ist insb in Sorge- und Umgangssachen iSv § 151 Nr 1 und 2 relevant. Da nach einem eigenmächtigen Umzug eines Elternteils mit dem gemeinsamen Kind regelmäßig schnell reagiert werden muss, um die Chancen des anderen Elternteils auf eine evtl Rückkehr des Kindes in seinen Haushalt allein durch Zeitablauf nicht unangemessen zu minimieren, ist § 154 bei einstweiligen Anordnungsverfahren relevant und findet gem § 50 I Anwendung.
B. Die Vorschrift im Einzelnen.
I. Voraussetzungen der Verweisung nach § 154 S 1.
Rn 5
Die Vorschrift greift nur ein, wenn ein Gericht nach § 152 II zuständig wird, weil der gewöhnliche Aufenthalt des (gemeinsamen minderjährigen) Kindes vor Einleitung des Verfahrens in den Bezirk des Gerichts verlegt wurde. Das bedeutet, dass eine Ehesache nicht anhängig sein darf und es sich bei der Kindschaftssache auch nicht um eine Unterbringungssache handelt. Eine Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts setzt voraus, dass der im Zeitpunkt der Anhängigkeit der Kindschaftsache bestehende Aufenthalt des Kindes von einem vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt abweicht und sich schon so verdichtet hat, dass von einem gewöhnlichen Aufenthalt gesprochen werden kann. Der veränderte tatsächliche Aufenthalt reicht nicht aus (Köln FamRZ 12, 1406). Ist das noch nicht der Fall, ist das Verfahren wegen Unzuständigkeit von dem angerufenen Gericht an das für den früheren gewöhnlichen Aufenthalt zuständige Gericht nach § 3 zu verweisen.
Rn 6
Ändert sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes unmittelbar nach Einleitung des Verfahrens, weil ein Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils den gewöhnlichen Aufenthalt verlegt hat, kann allerdings ein wichtiger Grund für die Abgabe des Verfahrens gem § 4 an das für den neuen Aufenthaltsort zuständige Gericht vorliegen (Stuttg 21.3.17 – 18 AR 3/17, juris). Ein nach § 152 II zuständiges Gericht kann von der Verweisungsmöglichkeit nach § 154 S 1 auch dann Gebrauch machen, wenn das Verfahren zuvor gem § 3 berechtigt dorthin verwiesen worden ist, weil das verweisende Gericht annahm, dass sich der gewö...