Gesetzestext

 

(1) Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat. Betrifft das Verfahren ausschließlich das Vermögen des Kindes, kann von einer persönlichen Anhörung abgesehen werden, wenn eine solche nach der Art der Angelegenheit nicht angezeigt ist.

(2) Hat das Kind das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist es persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist.

(3) Von einer persönlichen Anhörung nach Absatz 1 oder Absatz 2 darf das Gericht aus schwerwiegenden Gründen absehen. Unterbleibt eine Anhörung allein wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen.

(4) Das Kind soll über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. Ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Hat das Gericht dem Kind nach § 158 einen Verfahrensbeistand bestellt, soll die persönliche Anhörung in dessen Anwesenheit stattfinden. Im Übrigen steht die Gestaltung der persönlichen Anhörung im Ermessen des Gerichts.

A. Allgemeines.

 

Rn 1

Die Vorschrift entwickelt die bereits in § 50b FGG aF geregelte Kindesanhörung weiter, wobei insb die Verpflichtung des Gerichts zur Anhörung des Kindes stärker hervorgehoben wird (BTDrs 16/6308, 240). Die persönliche Anhörung des Kindes dient neben der Gewährung des rechtlichen Gehörs va auch der Sachaufklärung gem § 26 (BTDRs 16/6308, 416; BGH FuR 19, 103; FuR 17, 23; 16, 576; FamRZ 85, 169; Celle FamRZ 13, 1681; Prütting/Helms/Hammer § 159 Rz 1; FAKomm-FamR/Ziegler § 159 Rz 1; MüKoFamFG/Schumann § 159 Rz 1). Die Kindesanhörung ist ein wesentliches Element des Kindschaftsverfahrens und Ausfluss der Eigenständigkeit des Kindes, das nicht bloßes Objekt des Verfahrens ist (München FamRZ 15, 602). Dabei handelt es sich um einen Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang (BVerfG FamRZ 07, 1078 mwN; 81, 124; Frankf FuR 17, 217; Hamm 26.8.14 – 11 UF 85/14, Rz 5, juris; vgl Haußleiter/Eickelmann § 159 Rz 1). Das Kind muss im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit erhalten, seine persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden zu lassen. Die Kindesanhörung hat den Zweck, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen, damit sich das Familiengericht auf diese Weise einen Eindruck vom Kind verschaffen sowie – in Abhängigkeit vom Kindesalter – seine Auffassung zur Sache, seine Sorgen und Nöte kennenzulernen, um eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung treffen zu können (BVerfG FamRZ 10, 1622; FamRZ 81, 124; Karlsr FamRZ 16, 567; KG ZKJ 14, 285; Brandbg 29.8.12 – 3 UF 77/12, Rz 14, juris). Die Anhörung des sorgeberechtigten Elternteils kann die Anhörung des Kindes nicht ersetzen (BGH FuR 16, 57).

B. Die Vorschrift im Einzelnen.

I. Anwendungsbereich.

 

Rn 2

Die Vorschrift ist in den Kindschaftssachen des § 151 Nr 1–5 und Nr 8 anwendbar, unabhängig davon, ob der Richter oder der Rechtspfleger funktionell zuständig ist; für die Verfahren betreffend die freiheitsentziehende Unterbringung des Kindes iSv § 151 Nr 6 und 7 enthält § 167 I 1 iVm § 319 eine abschließende Sonderregelung (vgl MüKoFamFG/Schumann § 158 Rz 3; Prüttig/Helms/Hammer § 158 Rz 3; FAKomm-FamR/Ziegler § 159 Rz 3). Vor der Auswahl eines Vormunds für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings ist das Kind selbst gem § 159 als auch ggf ein Geschwisterkind dazu anzuhören, ob von den Eltern eine Person als Vormund benannt worden ist (KG FamRZ 16, 649); § 159 gilt im Verfahren betreffend die Anordnung des Ruhens der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB (Frankf FamRZ 15, 1521). Auch im Verfahren nach § 1686a BGB hat das Gericht das Kind grds persönlich anzuhören (BGH FuR 17, 23). Im familiengerichtlichen Genehmigungsverfahren nach § 2 I NamÄndG für einen nachfolgenden Antrag auf Namensänderung besteht gem § 2 II NamÄndG nur eine beschränkte Anhörungspflicht; die §§ 159, 160 finden hier keine Anwendung (Prütting/Helms/Hammer § 159 Rz 3; MüKoFamFG/Schumann § 159 Rz 3; Keidel/Engelhardt § 159 Rz 3; Bremen StAZ 14, 143; Ddorf FamRZ 11, 485). Die gem § 2 II NamÄndG vorgesehene Anhörung des beschränkt geschäftsfähigen Kindes, das das 16. Lebensjahr vollendet hat, kann auch schriftlich erfolgen (München StAZ 14, 114). Die Anhörungspflicht nach § 159 gilt auch in Verfahren, die die Entziehung der gesetzlichen Vertretungsbefugnis und die Bestellung eines Ergänzungspflegers gem § 1909 BGB betreffen (Oldbg FamRZ 10, 660). Im Rahmen des Verfahrens zur Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts für einen Minderjährigen gem § 52 II StPO iVm § 1909 BGB ist (durch den funktionell zuständigen Rechtspfleger) das noch nicht 14-jährige Kind regelmäßig nicht persönlich anzuhören (BGH FamRZ 20, 1197; Hambg FamRZ 20, 602; Bremen FamRZ 17, 970; aA Schlesw FuR 13, 290).

 

Rn 3

Die Pflicht zur Anhörung des Kindes gilt gem § 51 II 1 auch im einstweilige...

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