Gesetzestext
A. Normzweck/Regelungsinhalt.
Rn 1
Die Norm definiert die Gewaltschutzsachen – unter Verzicht auf eine autonome Begriffsbestimmung – durch Verweisung auf das GewSchG (Art 1 G z Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten u Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung v 11.12.01 [BGBl I, 3513], geändert durch Art 4 G z Verbesserung des Schutzes gg Nachstellungen v 1.3.17 [BGBl I, 386]). Gleichzeitig legt sie den Anwendungsbereich der §§ 211–216a fest. Die uneingeschränkte Verweisung auf die §§ 1u 2 GewSchG hat zur Folge, dass alle Gewaltschutzsachen Familiensachen sind (§ 111 Nr 6), und zwar unabhängig v familiären Beziehungen oder einer gemeinsamen Haushaltsführung der Beteiligten (Köln Beschl v 28.9.09 – 21 WF 207/09, FF 10, 80 [OLG Köln 28.09.2008 - 21 WF 207/09]). Die Zuständigkeit der FamG umfasst also auch Verletzungshandlungen zwischen (ehemals) befreundeten Personen, Nachbarn, Geschäftspartnern, Mietern/Vermietern etc. Ausgenommen – durch § 3 GewSchG – ist das Verhältnis minderjähriger Kinder zu ihren Sorgeberechtigten.
B. Schutzmaßnahmen nach § 1 GewSchG.
I. Verletzungshandlungen.
Rn 2
§ 1 GewSchG enthält eine verfahrensrechtliche Regelung zur Durchsetzung materiell-rechtlicher Unterlassungsansprüche (§§ 823, 1004 BGB) (BTDrs 14/5429, 12, 17, 27, 28, 41; Karlsr Beschl v 27.5.20 – 7 W 16/20, FamRZ 20, 1752; nachfolgend BGH Beschl v 21.10.20– XII ZB 276/20, MDR 21, 51). Schutzmaßnahmen kommen danach in Betracht, wenn eine Person den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt (§ 1 I 1 GewSchG) oder damit droht (§ 1 II 1 Nr 1 GewSchG), widerrechtlich u vorsätzlich in die Wohnung einer anderen Person eindringt (§ 1 II 1 Nr 2 lit a GewSchG) oder eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gg den ausdr erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung v Fernkommunikationsmitteln verfolgt (§ 1 II 1 Nr 2 lit b GewSchG). Eine Verletzung des allg Persönlichkeitsrechts reicht nicht aus. Bloße Beleidigungen oder Beschimpfungen oder das Verbreiten v Fotos im Internet rechtfertigen also keine Gewaltschutzanordnung (Hamm Beschl v 23.5.11 – 8 UF 77/11, FamFR 11, 576; Karlsr Beschl v 17.5.16 – 7 W 12/16, FamRZ 16, 1863). Eine Anordnung nach dem GewSchG dient auch nicht der Durchsetzung beliebiger anderweitig gesetzlich angeordneter oder sonst wünschenswerter Verhaltensweisen im persönlichen Nahbereich (Celle Beschl v 19.5.12 – 10 UF 9/12, FuR 13, 115 = FamRZ 12, 1950).
II. Schutzmaßnahmen.
Rn 3
Die in Betracht kommenden Schutzanordnungen sind in § 1 I 3 GewSchG beispielhaft (›insbesondere‹) aufgeführt. Danach kann das FamG dem Täter verbieten, die Wohnung der verletzten Person zu betreten (§ 1 I 3 Nr 1 GewSchG), sich dieser Wohnung zu nähern (§ 1 I 3 Nr 2 GewSchG), andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält (§ 1 I 3 Nr 3 GewSchG), Kontakt mit der verletzten Person aufzunehmen (§ 1 I 3 Nr 4 GewSchG) oder ein Zusammentreffen mit ihr herbeizuführen (§ 1 I 3 Nr 5 GewSchG). Das Gericht kann darüber hinaus andere Verbote oder Verhaltensregeln anordnen, soweit sie für einen effektiven Opferschutz notwendig sind. Allerdings müssen die Maßnahmen verhältnismäßig sein. Das ist nur der Fall, wenn sie zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlich sind (§ 1 I 1 GewSchG). Die Anordnungen sind idR zu befristen (§ 1 I 2 GewSchG).
C. Wohnungszuweisung gem § 2 GewSchG.
Rn 4
Im Fall einer Verletzungshandlung iSd § 1 GewSchG hat die verletzte Person nach § 2 GewSchG Anspruch auf Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung zur alleinigen Nutzung. Der Anspruch auf Wohnungsüberlassung nach § 1361b BGB wird dadurch nicht ausgeschlossen; vielmehr ist § 1361b BGB in den Fällen, in denen die Wohnungsüberlassung im Hinblick auf eine beabsichtigte Scheidung der Eheleute begehrt wird, die speziellere Vorschrift (BTDrs 14/5429, 21). Wenn eine getrennt lebende Ehefrau den Antrag auf Wohnungszuweisung aber wegen einer angeblichen Gewalttätigkeit des Ehemannes auf das GewSchG stützt, ist der Antrag als ein solcher nach § 2 GewSchG auszulegen (Bambg Beschl v 16.2.11 – 7 UF 37/11, FamRZ 11, 1419). § 2 Abs 1 GewSchG setzt voraus, dass die verletzte Person zum Zeitpunkt der Tat mit dem Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt hat. Darunter ist eine dauerhafte Lebensgemeinschaft zu verstehen, die keine weiteren Bindungen gleicher Art zulässt u sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Füreinandereinstehen begründen u die über eine reine Wohn- u Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht (BTDrs 14/5429, 30; BRDrs 439/00, 92).