Gesetzestext

 

Das Gericht kann die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Gericht abgeben, wenn sich dieses zur Übernahme der Sache bereit erklärt hat. Vor der Abgabe sollen die Beteiligten angehört werden.

A. Zweck der Vorschrift.

 

Rn 1

S 1 regelt die Abgabe einer Sache an ein anderes Gericht trotz bestehender Zuständigkeit des angerufenen Gerichts und soll die einvernehmliche Abgabe vereinfachen (Begr zu § 4 RegE in BTDrs 16/6308, S 175). S 2 enthält eine Regelung zur Anhörung.

B. Geltungsbereich.

 

Rn 2

§ 4 gilt in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und in Familiensachen (Begr zu § 4 RegE in BTDrs 16/6308, S 175), gem § 113 Abs 1 S 1 nicht aber in Ehe- und Familienstreitsachen (Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller § 4 Rz 3). Spezialregelungen enthalten die §§ 153 S 1, 202 S 1, 233 S 1, 263 S 1,268 S 1 und 342 Abs 3 S 2 (dazu Karlsr FGPrax 19, 186f [OLG Karlsruhe 29.01.2019 - 209 AR 2/19]). § 4 ergänzt § 314 im Unterbringungsverfahren (Brandbg Beschl v 24.9.19 – 1 AR 38/19, juris).

C. Abgabeverfahren.

I. Allgemeines.

 

Rn 3

Nach S 1 kann ein Verfahren an ein anderes Gericht abgegeben werden, wenn darin der Bezug zu mutmaßlich betroffenen Personen im Vordergrund steht und es deshalb zweckmäßig erscheint, das Verfahren an ein Gericht abzugeben, in dessen Nähe sie sich befinden. Die Abgabe erfolgt vAw, kann jedoch von den Beteiligten angeregt werden.

II. Abgrenzung zur Verweisung.

 

Rn 4

Die Abgabe unterscheidet sich von der Verweisung nach § 3, die voraussetzt, dass sich das angerufene Gericht für unzuständig hält. Bei der Abgabe hält sich hingegen das abgebende Gericht für zuständig (BayObLG FamRZ 98, 959, 960). Auf die Zuständigkeit des übernehmenden Gerichts kommt es nicht an, weil auf den Zeitpunkt der Abgabe abzustellen ist, nicht auf die künftige Entwicklung der Sache (Karlsr Rpfleger 90, 208).

D. Voraussetzungen der Abgabe.

I. Wichtiger Grund.

 

Rn 5

Die Abgabe ist nur aus wichtigem Grund möglich, der vorliegt, wenn durch die Abgabe ein Zustand geschaffen wird, der unter dem Gesichtspunkt des Wohls der Beteiligten eine zweckmäßigere oder leichtere Bearbeitung der Angelegenheit ermöglicht (BayObLG Rpfleger 96, 343 [BayObLG 08.03.1996 - 1Z AR 15/96]; Karlsr Rpfleger 90, 208). Von besonderer Bedeutung ist dabei, ob das aufnehmende Gericht mit der Angelegenheit vertraut ist und ob persönlicher Kontakt mit den Beteiligten erforderlich ist. Das abgebende Gericht hat bis zum Zeitpunkt der Abgabe alle vAw oder auf Antrag ergehenden Entscheidungen zu treffen. Dies ist keine Frage der Zulässigkeit der Abgabe, sondern für die Beurteilung des Vorliegens eines wichtigen Grundes von Bedeutung (Brandbg Beschl v 12.11.19 – 1 AR 50/19, juris).

 

Rn 6

Nach § 273 liegt für Betreuungssachen ein wichtiger Grund bei Änderung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen vor, der eine Wahrnehmung der wesentlichen Aufgaben des Betreuers vor Ort erfordert. In Vormundschaftssachen kommt der dauerhafte Aufenthaltswechsel des Mündels, des Vormunds oder der Eltern, in Adoptionssachen die Verlegung des Wohnsitzes des Annehmenden oder des Kindes in Betracht (Begr zu § 4 RegE in BTDrs 16/6308, S 176). Auch bei Vorliegen eines wichtigen Grunds hat das abgebende Gericht einen Ermessensspielraum, der je nach Bedeutung der Abgabe für die Beteiligten auf null reduziert sein kann (Holzer/Holzer § 4 Rz 7).

II. Zustimmung des übernehmenden Gerichts.

 

Rn 7

Die Abgabe nach S 1 setzt die Zustimmung des übernehmenden Gerichts voraus, die ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen kann und unwiderruflich ist (BayObLG FGPrax 98, 145 [OLG Frankfurt am Main 20.03.1998 - 20 W 489/95]).

III. Anhörung der Beteiligten.

 

Rn 8

Nach S 2 ›sollen‹ die Beteiligten vor der Abgabe angehört werden, sodass in eiligen Fällen – insb in Unterbringungs- und Betreuungssachen – von einer Anhörung abgesehen werden kann. Gleiches gilt, wenn die Beteiligten nicht in der Lage sind, sich zu äußern (Begr zu § 4 RegE in BTDrs 16/6308, S 176).

IV. Form, Umfang, Wirkungen und Kosten der Abgabe.

 

Rn 9

Die Entscheidung über die Abgabe erfolgt durch Beschluss (§ 38), in dem die Gründe für die Abgabe darzustellen sind. Die abgegebene Angelegenheit geht als Ganzes auf das übernehmende Gericht über. Das gilt nicht für gesonderte Verfahren, auch wenn sie mit der abgegebenen Sache sachlich zusammenhängen; so gilt die Abgabe in Betreuungssachen nur für den im Abgabebeschluss zu bezeichneten Wirkungskreis (Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller § 4 Rz 12). Eine Kostenentscheidung wird nicht getroffen (Prütting/Helms/Prütting § 4 Rz 33).

V. Verweigerung der Abgabe oder Übernahme.

 

Rn 10

Bei Verweigerung der Abgabe oder Übernahme durch eines der beteiligten Gerichte wird das zuständige Gericht auf Anrufung eines dieser Gerichte durch das nächsthöhere gemeinsame Gericht bestimmt (§ 5 Abs 1 Nr 5). Die Abgabe ist nicht selbstständig anfechtbar (BGH NJW-RR 11, 577 [BGH 01.12.2010 - XII ZB 227/10]), wohl aber im Rahmen der Hauptsacheentscheidung (Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller § 4 Rz 14).

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