Gesetzestext
(1) Handelt der Verpflichtete einer Anordnung nach 1 des Gewaltschutzgesetzes zuwider, eine Handlung zu unterlassen, kann der Berechtigte zur Beseitigung einer jeden andauernden Zuwiderhandlung einen Gerichtsvollzieher zuziehen. Der Gerichtsvollzieher hat nach § 758 Abs. 3 und § 759 der Zivilprozessordnung zu verfahren. Die §§ 890 und 891 der Zivilprozessordnung bleiben daneben anwendbar.
(2) Bei einer einstweiligen Anordnung in Gewaltschutzsachen, soweit Gegenstand des Verfahrens Regelungen aus dem Bereich der Ehewohnungssachen sind, und in Ehewohnungssachen ist die mehrfache Einweisung des Besitzes im Sinne des § 885 Abs. 1 der Zivilprozessordnung während der Geltungsdauer möglich. Einer erneuten Zustellung an den Verpflichteten bedarf es nicht.
A. Allgemeines.
Rn 1
§ 96 enthält ergänzende Sonderregelungen für die Vollstreckung von Titeln nach dem GewSchG und in Ehewohnungssachen. Durch sie soll die Vollstreckung zusätzlich vereinfacht werden. Abs 1 ermöglicht die Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers durch den Berechtigten, um einen Unterlassungstitel durchzusetzen. Abs 2 ermöglicht in Ehewohnungssachen eine mehrfache Einweisung des Berechtigten in den Besitz an der Ehewohnung, ohne dass hierfür eine erneute Zustellung des Beschlusses an den Verpflichteten notwendig wäre.
B. Vollstreckung der Maßnahme nach GewSchG (Abs 1).
Rn 2
Voraussetzung für § 96 I ist, dass ein Titel vorliegt, in dem eine Unterlassungsanordnung nach § 1 GewSchG getroffen wurde. Eine solche Anordnung kann bspw die Verbote beinhalten, die Wohnung oder den Arbeitsplatz der verletzten Person zu betreten oder Kontakt mit ihr aufzunehmen. Der Titel muss hinreichend bestimmt sein, um eine Vollstreckung zu ermöglichen. Zudem muss eine noch andauernde Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot gegeben sein. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich der Verpflichtete nach wie vor an einem Ort aufhält, den er nach dem Titel nicht betreten darf. Auf ein Verschulden des Verpflichteten kommt es, anders als bei § 95 I Nr 4 FamFG iVm § 890 ZPO, nicht an.
Rn 3
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die verletzte Person ohne Einschaltung eines Gerichts den Gerichtsvollzieher mit der Durchsetzung des Titels beauftragen (§ 753 ZPO). Widersetzt sich der Verpflichtete dem Gerichtsvollzieher, kann dieser Gewalt anwenden und zur Unterstützung polizeiliche Hilfe anfordern (§ 758 III ZPO). Nach Maßgabe des § 759 ZPO hat der Gerichtsvollzieher zudem Zeugen hinzuzuziehen. Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift ist allerdings gering, da Gerichtsvollzieher feste Dienstzeiten haben und idR kein Bereitschaftsdienst besteht. Im Falle eines Verstoßes außerhalb der Dienstzeiten ist ein schnelles Eingreifen eines Gerichtsvollziehers deshalb oft nicht gewährleistet (BeckOKFamFG/Sieghörtner Rz 4).
Rn 4
§ 96 I 3 stellt zudem klar, dass die Möglichkeit, einen Gerichtsvollzieher zu beauftragen, die Zwangsmittel nach §§ 890, 891 ZPO (Ordnungsgeld und Ordnungshaft) keineswegs verdrängt, sondern nur ergänzt. Der Berechtigte kann auch beide Zwangsmaßnahmen gleichzeitig geltend machen.
C. Ehewohnungssachen (Abs 2).
Rn 5
§ 96 II setzt voraus, dass eine einstweilige Anordnung (§§ 49 ff, 214) in einer Ehewohnungssache (§§ 200 ff FamFG, §§ 1361b, 1586a BGB) ergangen ist. Auch erfasst wird eine einstweilige Anordnung, die im Rahmen eines Gewaltschutzverfahrens erlassen wurde, soweit sie inhaltlich eine Regelung über die Nutzung der gemeinschaftlichen Wohnung trifft (vgl § 2 GewSchG).
Rn 6
Als Rechtsfolge ordnet § 96 II an, dass ein entsprechender Titel durch eine durchgeführte Räumung nicht verbraucht wird, sondern auch eine mehrfache Besitzeinweisung rechtfertigt. Zieht der Verpflichtete nach einer zunächst erfolgreichen Räumung wieder ein, so kann aus dem Titel erneut gegen ihn vollstreckt werden. Auch eine erneute Zustellung des Titels an den Verpflichteten ist in diesem Fall entbehrlich (§ 96 II 2). Ist die Wohnungszuweisung an den Berechtigten jedoch zeitlich befristet (vgl § 2 II GewSchG), kann die Vollstreckung nur innerhalb dieser Frist erfolgen.
Rn 7
Umstritten ist, ob eine Vollstreckung aus dem Titel auch dann noch möglich sein soll, wenn der Berechtigte den Verpflichteten zwischenzeitlich wieder freiwillig in die Wohnung aufgenommen hat. Teilw wird eingewendet, dass der ursprünglich bestehende Anspruch aus § 2 GewSchG bzw §§ 1361b, 1568a BGB infolge des Verhaltens des Berechtigten erloschen und damit auch der Titel entfallen ist (BeckOKFamFG/Sieghörtner Rz 10; Musielak/Borth/Borth/Grandel Rz 4; Holzer/Wilsch Rz 6). Richtigerweise bleibt allerdings auch insoweit der Titel bis zu seiner Herausgabe vollstreckbar (ebenso MüKoFamFG/Zimmermann Rz 7; Keidel/Giers Rz 6; ThoPu/Seiler Rz 6; Prütting/Helms/Hammer Rz 11; J/H/Büte Rz 4). Die Gründe, wieso der Verpflichtete zunächst wieder eingezogen ist, sind für die Vollstreckbarkeit des Titels unerheblich. Einwendungen gegen den Titel müssen mit einem Vollstreckungsgegenantrag (§ 95 I FamFG iVm § 767 ZPO) oder nach §§ 54 f geltend gemacht werden.