Gesetzestext
Das Gericht kann für die Verhandlung oder für einen Teil davon die Öffentlichkeit ausschließen, wenn
1. |
eine Gefährdung der Staatssicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit zu besorgen ist, |
1a. |
eine Gefährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person zu besorgen ist, |
2. |
ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnis zur Sprache kommt, durch dessen öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden, |
3. |
ein privates Geheimnis erörtert wird, dessen unbefugte Offenbarung durch den Zeugen oder Sachverständigen mit Strafe bedroht ist, |
4. |
eine Person unter 18 Jahren vernommen wird. |
Rn 1
Die Dauer des Ausschlusses der Öffentlichkeit bestimmt das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Der Zeitraum darf nicht von vornherein zu weit bemessen sein. Der Ausschluss der Öffentlichkeit im weitest zulässigen Umfang ›für die weitere Dauer der Hauptverhandlung‹, kommt bei einem eng begrenzten Verfahrensgegenstand in Betracht wenn zu erwarten ist, dass sämtliche Prozessvorgänge mit dem Grund der Ausschließung in Beziehung stehen (BGH NJW 86, 200). Die Öffentlichkeit muss nach Wegfall des zunächst gegebenen Ausschließungsgrundes wieder hergestellt werden (stRspr, vgl BGH NJW 86, 200). Der Beschl ist gem § 174 zu begründen. Zur Anforderung an die Begründung s § 174 Rn 3.
Rn 2
Zu Nr 1: Staatssicherheit ist die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, insb die Funktionsfähigkeit der demokratisch legitimierten Staatsorgane wie insgesamt ihre Fähigkeit, sich nach außen und innen gegen Störungen zur Wehr zu setzen. Bei der Wertung, ob bei einer öffentlichen Verhandlung gem § 172 Nr 1 GVG eine Gefährdung der Staatssicherheit zu besorgen ist, steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu (BVerwG Beschl v 19.11.96 – 2 B 47/96).
Rn 3
Die Gefährdung der öffentlichen Ordnung setzt voraus, dass aufgrund der Öffentlichkeit der Verhandlung die öffentliche Ruhe, Sicherheit oder Ordnung wahrscheinlich gestört wird, mag sich diese Störung in der Verhandlung selbst oder außerhalb auswirken. Eine solche Gefährdung der öffentlichen Ordnung ist noch nicht gegeben, wenn ein Zeuge erklärt, er wolle nur dann aussagen, wenn die Öffentlichkeit ausgeschlossen werde, weil die Presse sonst falsch berichten würde (BGH NJW 81, 2825 [BGH 19.08.1981 - 3 StR 226/81]).
Rn 4
Der Ausschließungsgrund der Besorgnis einer Gefährdung der Sittlichkeit kommt neben dem Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Intimsphäre nach § 171b in Betracht. Die Ausschließungsgründe stehen mit unterschiedlicher Schutzfunktion selbstständig nebeneinander (BGH NJW 92, 2436). § 172 Nr 1 gestattet den Ausschluss der Öffentlichkeit auch dann, wenn die Abwägung gem § 171b I 1 zu dem Ergebnis kommt, dass die Interessen der Allgemeinheit das Schutzbedürfnis des Betroffenen überwiegen oder dieser widerspricht. Dem Tatrichter steht bei der Wertung, ob die öffentliche Erörterung sexualbezogener Vorgänge nach allgemeiner Anschauung anstößig wäre, ein Beurteilungsspielraum zu, bei dem allerdings die Liberalisierung der Anschauungen zur öffentlichen Darstellung sexualbezogener Vorgänge nicht außer Betracht bleiben können. Hierfür ist auf den bei Ausschluss der Öffentlichkeit zu erwartenden Inhalt des in Frage stehenden Verhandlungsabschnittes abzustellen (BGH NJW 92, 2436).
Rn 5
Nach ihrer Entstehungsgeschichte, ihrem Inhalt, der Gesetzessystematik und ihrem Sinn und Zweck enthält Nr 1a den einheitlichen Ausschließungsgrund der Personengefährdung (BGH NJW 95, 3195 [BGH 10.05.1995 - 3 StR 145/95]).
Rn 6
Der Ausschließungsgrund gem Nr 2 muss ein wichtiges Geheimnis der genannten Art betreffen. Darunter kann die maßgebliche Berechnungsgrundlage für die Prämienkalkulation des Krankenversicherers fallen (BGH 14.10.20 – IV ZB 4/20, NJW-RR 20, 1389). Ferner muss erkennbar sein, dass durch die öffentliche Erörterung überwiegende schutzwürdige Interessen verletzt würden. Dies muss aus der Beschlussbegründung (§ 174 I 3) hervorgehen (BGH StV 00, 243).
Rn 7
Der Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung kindlicher Zeugen nach Nr 4 umfasst alle Verfahrensvorgänge, die mit den Vernehmungen in enger Verbindung stehen oder sich aus ihnen entwickeln und daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören (BGH NStZ 94, 354).