Rn 16
Die in der Praxis vorkommende Richterverteilung durch Besetzung eines Spruchkörpers mit ›NN‹ kennzeichnet die Schwierigkeiten der von der Personalhoheit der Exekutive abhängigen Richterverteilung durch das Präsidium, denn es besetzt den nur mit der Festzahl an Richtern zugewiesenen Spruchkörper mit ›NN‹ fehlerhaft: der gemeinte Richter ist im Augenblick der Beschlussfassung dem Gericht weder zugewiesen noch dem Präsidium namentlich bekannt. Die Besetzung mit ›NN‹ löst auch keinen Vertretungsfall iSd § 21 f II 1 aus (Hamm NStZ-RR 04, 146; BSG NJW 07, 2717, 2719; Werner NJW 07, 2671, 2672); der Spruchkörper ist nämlich infolge fehlerhafter Regelbesetzung nicht handlungsfähig (BGHSt 14, 11, 15). Das ist im überbesetzten Spruchkörper zwar anders, nicht aber hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit der Besetzung mit ›NN‹ im Präsidiumsbeschluss wie auch im Spruchkörperbeschluss.
Rn 17
Die Besetzung der Vorsitzendenstelle mit ›NN‹ ist genauso zu beurteilen (BGHSt 14, 11, 14f); die Nichtbesetzung dieser Stelle aus Gründen haushaltsrechtlicher Sparmaßnahmen verletzt offenkundig Art 101 I 2 GG (Hambg MDR 84, 868). Die Großzügigkeit der Rspr von BGH, BVerwG, BFH und BSG zur Vermeidung von Übergangsvorsitzenden (BSG NJW 07, 2717, 2718; Saenger/Rathmann § 21e GVG Rz 5) offenbart guten Willen, wenn sie selbst bei absehbaren Vakanzen ein Zuwarten für die Dauer der Stellenausschreibung und der Gremienbeteiligung duldet (BVerfGE 18, 423, 426). Sie ist aber kaum bzw allenfalls dann hinzunehmen, wenn ›in absehbarer Zeit‹ (BGHSt 14, 11, 16; BGHZ 164, 87, 92f) mit der Besetzung der bereits ausgeschriebenen Stelle zu rechnen ist. ›Absehbare Zeit‹ kann daher ernstlich nur bedeuten, dass die Dauer des üblichen Besetzungsverfahrens (BGHSt 14, 11, 17; NJW 88, 1397; Saenger/Rathmann § 21e GVG Rz 5) nicht überschritten wird. Zur Beschleunigung verpflichtet ist nämlich nicht nur der gesetzliche Richter bzw der gesetzliche Spruchkörper, sondern auch der Haushaltsgesetzgeber und die Exekutive, die verpflichtet sind, die Gerichte so auszustatten, wie es erforderlich ist, um eine Justizgewährung in angemessener Frist zu gewährleisten, um das in Art 2, 20 III GG bzw Art 6 EMRK wurzelnde Gebot der Beschleunigung von Haftsachen bzw auch der Gewährung effektiven Rechtsschutzes in anderen Sachen nicht zur inhaltslosen Hülse werden zu lassen (BVerfG K NJW 06, 668, 671; EGMR StV 09, 561 Rz 64; BbgVerfG NVwZ 10, 378f).
Rn 18
Auf die Veränderungen der Richterbank durch absehbare oder auch unerwartete und erkennbar dauerhafte Vakanzen, zB nach Eintritt in den Ruhestand, Abordnung oder Elternzeit bzw langfristige Beurlaubung, müssen Staat und Präsidium (BSG NJW 07, 2717, 2719; Werner NJW 07, 2671, 2673 [BSG 29.11.2006 - B 6 KA 34/06 B]; Dreier/Schulze-Fielitz Art 101 Rz 48) deshalb unverzüglich reag
ieren. Binnen sechs Wochen zwischen Kenntnis vom Bevorstehen der nicht nur vorübergehenden Vakanz und deren Eintritt muss die Justizverwaltung die Frage der Nachbesetzung klären (BGH NJW 15, 1685, 1688 [BGH 12.03.2015 - VII ZR 173/13] Rz 38) und ggf die Stelle ausschreiben. Das Besetzungsverfahren muss mit der gebotenen Zügigkeit betrieben (BGH Beschl v 10.11.15 – 5 StR 420/15 – Rz 6) und angemessen gefördert werden. Jede sachfremde, mit der Personalauswahl nicht unvermeidlich verbundene Verzögerung der Wiederbesetzung der Planstelle entzieht der Vertretungsregelung nach § 21 f II 2 die Rechtsgrundlage, so dass der Spruchkörper nicht ordnungsgemäß besetzt ist (BGHZ 95, 246, 248). Mit Blick auf die aus Art 2 I, 20 III GG abgeleitete Pflicht zur effektiven Rechtsschutzgewährung (BVerfG K NJW 07, 503; BGH JZ 07, 686, 687 [BGH 11.01.2007 - III ZR 302/05]) oder die sich aus Art 6 I EMRK ausdrücklich ergebende Pflicht der Richter bzw Spruchkörper zur Justizgewährung in angemessener Frist (EGMR NJW 06, 2389, 2392) sollte die Dauer des vom Besetzungsverfahrensrecht (BGH NJW 88, 1397 [BGH 29.05.1987 - 3 StR 242/86]) geforderte Mindestlänge eines rechtsstaatlichen Besetzungsverfahrens nicht ohne Sachgrund überschritten werden,
Wie lange das Präsidium im Falle der nicht nahtlosen Nachbesetzung einer Vorsitzendenstelle zuwarten darf, einen anderen Vorsitzenden zusätzlich mit dem vakant gewordenen Vorsitz zu betrauen oder den Spruchkörper aufzulösen, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten (BGH NJW 15, 1685, 1688 Rz 36; BGH NStZ-RR 13, 259 [BGH 26.03.2013 - 4 StR 556/12]; BSG, NJW 07, 2717, 2718). Die Annahme einer generellen Obergrenze der Vakanz von 6 Monaten mit der Folge, dass danach eine vorübergehende Verhinderung iSd § 21 f II nicht mehr vorliegen kann (BSG NJW 07, 2717; Zö/Lückemann § 21e GVG Rz 39d) und also der Vertretungsfall, der gar nicht vorlag, wegfällt, würde die Handhabung der Vakanzfälle erleichtern, ist aber dogmatisch nicht überzeugend und wird dem Willen des Gesetzgebers, der eine bestimmte Obergrenze nicht eingeführt hat, nicht gerecht. Allerdings kann eine so lange Vakanz auf erkennbare Versäumnisse im Nachbesetzungsverfahren hindeuten, die das P...