Rn 3
Die Streitwertregel wird durch eine Reihe von Ausnahmen durchbrochen. Zunächst ist in den Fällen der § 23 Nr 2 lit a–g, §§ 23a, 27 die ausschließliche Zuständigkeit des AG begründet. Umgekehrt weisen Abs 2 sowie andere bundes- und landesrechtliche Normen dem LG Streitigkeiten in ausschließlicher Zuständigkeit (Rn 6) zu. Für den Fall einer subjektiven Klagehäufung, wenn etwa ein Mieter wegen eines Glatteisunfalls sowohl vom Vermieter als auch vom Streudienst-Unternehmen Ersatz fordert, kann das zuständige Gericht – idR das OLG – die Kollision von § 23 Nr 2 lit a und § 71 über § 36 ZPO nach Sachnähe und Prozesswirtschaftlichkeit beheben (vgl Brandbg WuM 15, 367; dazu Ritter IMR 15, 288; ähnlich: Räumungsklage vs. Bereicherung: München BauR 15, 313).
Rn 4
Die Relevanz der einzelnen Zuweisungen ist unterschiedlich zu bewerten. Abs 2 Nr 1 ist heute gegenstandslos, weil insoweit die Verwaltungsgerichte zuständig sind. Abs 2 Nr 2 weist Klagen der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu, die Ansprüche betreffen, welche aus Amtspflichtverletzungen von Richtern und Beamten hergeleitet werden. Art 34 S 3 GG schließt Forderungen gegen den Dienstherrn ebenso mit ein, wie Regressansprüche des Dienstherrn weitgehend demselben Rechtsweg (vgl Kissel/Mayer Rz 12) zugewiesen sind. Betroffen sind nur Ansprüche aus hoheitlichem Handeln des Amtsträgers iRe öffentlich-rechtlichen Pflicht (vgl etwa PWW/Kramarz § 839 Rz 19; Regress ggü Richtern: Scheffer NVwZ 10, 425). Erfasst sind auch Ansprüche aus angeblich fehlerhafter Heilbehandlung eines Strafgefangenen (Kobl MDR 17, 360 [BGH 28.06.2016 - VI ZR 559/14]). Die Verantwortung aus Gefährdungshaftung, etwa § 7 StVG, aber auch schuldhafte Verletzungen privatrechtlich begründeter Verkehrssicherungspflichten (Naumbg 20.4.10 – 1 AR 8/10) werden bereits durch §§ 13, 71 I erfasst. Dagegen erstreckt sich die Zuweisung auf selbständige Prozesskostenhilfeverfahren (AG Oldenburg Hst 20.1.09 – 22 C 958/08; VG Augsburg 14.9.09 – Au 4 K 09.1227), auch in der Beschwerdeinstanz (Stuttg MDR 09, 1310 [OLG Stuttgart 20.08.2009 - 6 W 44/09]). Ausgenommen sind Ansprüche auf Naturalrestitution (Frankf 30.11.11 – 1 W 54/11). Treffen eine Haftung aus Amtspflicht und die Verantwortung eines Dritten zusammen, so kann eine Gerichtsbestimmung nach § 36 I Nr 3 ZPO angezeigt sein (Hamm 12.8.14 – 32 SA 48/14; s.o. Rn 3; zur Bindungswirkung bei Fehlern: BGH MDR 15, 51 [BGH 28.10.2014 - XI ZR 395/13]).
Rn 5
Mit dem KapMuG eingefügt wurde in Abs 2 Nr 3 die streitwertunabhängige Zuständigkeit des LG bei Schadensersatzansprüchen wegen pflichtwidriger öffentlicher Kapitalmarktinformation (Art 3 Nr 1 G v 16.8.05, BGBl I, 2437; ReformG v 19.10.12, BGBl I, 2182). Die Regelung der sachlichen Zuständigkeit geht Hand in Hand mit der in § 32b ZPO geregelten ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit, verlangt aber anders als diese nicht notwendig die Beteiligung eines Prospektverantwortlichen ieS (Frankf 31.7.18 – 11 SV 41/18). Es soll eine Konzentration von Verfahren bei den Landgerichten am Sitz des betroffenen Anbieters bewirkt werden (RegE BTDrs 15/5091, 34). Umfasst sind Ansprüche gem § 1 I 1 Nr 1 KapMuG, also insb solche im Hinblick auf Fehlangaben in Prospekten nach dem WertpapierprospektG, dem VerkaufsprospektG und dem InvestmentG, Mitteilungen über Insiderinformationen iSd WpHG, Fehlinformationen auf der Hauptversammlung einer AktG, Verstöße gegen Bilanzierungs- und Abschlussvorschriften oder Angebotsunterlagen iSd Wertpapiererwerbs- und ÜbernahmeG (iE Cuypers ZAP Fach 13, 1711). Erfasst sind auch negative Feststellungsklagen (LG Göttingen 26.7.11 – 2 O 1096/11). – Das FGG-RG (BGBl I 08, 2586) hat einige bislang einzelgesetzlich geregelte Zuständigkeiten für Handelssachen in der neu angefügten Nr 4 zusammengefasst. Es handelt sich um Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Waren diese bislang der KfH speziell zugewiesen, ist jetzt die Zuständigkeit des LG allgemein begründet (München GmbHR 18, 196; LG München I NZG 10, 392; Schwichtenberg/Krenek BB 10, 1232; aA Jänig/Leißring ZIP 10, 110, 113). – Hinzugetreten sind in Nr 5 durch das BauvertragsreformG v 28.4.17 (BGBl I, 969) Streitigkeiten über das Anordnungsrecht des Bestellers nach § 650b BGB und korrespondierende Vergütungsansprüche gem § 650c BGB. Ziel des Gesetzgebers war es, schnelle und durch erhöhtes Fachwissen getragene Entscheidungen herbeizuführen, um die Nachteile streitbegleitender Baustillstände einzudämmen (Bericht BTDrs 18/11437, 44; Tyroller Life&Law 17, 423). – Die Zuständigkeit in Nr 6 wurde durch das SanInsFoG (BGBl I 20, 3256) eingefügt. Sie erfasst Ansprüche, die aufgrund des StaRUG in einer Restrukturierungssache gegen den Schuldner, die Mitglieder seiner Geschäftsleitung, seine Organe oder den Restrukturierungsbeauftragten erhoben werden. Die Konzentration bei den Landgerichten soll eine Spezialisierung und zeitsparende Arbeitsorganisation ermöglichen, die Vorteile der Entscheidungsfindung in einem Kollegialorgan in komplexen Fragen des Wirts...