A. Normzweck.
I. Umsetzung EU-Richtlinie.
Rn 1
Das VSBG v 19.2.16 (BGBl I 254, ber 1039) setzt die RL 2013/11/EU (ADR-Richtlinie) über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (ABl EU 2013 L 165, 63) um; zur insoweit umstrittenen Kompetenz der EU Roth JZ 13, 637, 642 [EuGH 19.09.2013 - Rs. C-579/12 RX-II]; Engel NJW 15, 1633, 1634. Das VSBG ist Abs 1 des Gesetzes zur Umsetzung der RL über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der VO über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten. Seit 1.1.20 ist die novellierte Fassung des VSBG v 30.11.19 (BGBl I 1942) in Kraft; dazu Thole ZKM 20, 4; Greger MDR 20, 65.
II. Inhaltliche Ziele.
Rn 2
Die Regierungsbegründung zum VSBG sieht in der außergerichtlichen Streitbeilegung für Verbraucher eine ›zusätzliche Möglichkeit zur Rechtsdurchsetzung‹ und für Unternehmen ein Instrument zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit (BTDrs 18/5089, 38). Zum Inhalt des G vgl Prütting AnwBl 16, 190. Zu einer ersten Zwischenbilanz vgl Roder ZKM 18, 200.
III. Kritik.
Rn 3
Die Streitbeilegungsverfahren nach dem VSBG wollen zwar den Anschein des Rechts erwecken (vgl §§ 17 I 1, 19 I 2 VSBG), ihnen fehlen aber gewisse rechtsstaatliche Elemente: Die Öffentlichkeit von Verfahren und Entscheidung sowie die Möglichkeit der Rechtsfortbildung und Rechtseinheit durch Rechtsmittelinstanzen. Soweit informelle Streitbeilegungsverfahren an die Stelle von Zivilprozessen treten, kann es daher zu weniger Rechtsdurchsetzung kommen (Eidenmüller/Engel ZIP 13, 1707). Allerdings haben die Verbraucherstreitbeilegungsverfahren keinerlei Bindungswirkung. Der Rechtsweg steht also stets offen.
IV. Fortentwicklung.
Rn 4
Der Gesetzgeber wollte mit dem VSBG den Bereich der außergerichtlichen Streitbeilegung in drei Stufen fördern. In der ersten Stufe werden dem Verbraucher spezielle Schlichtungsstellen für einzelne Branchen angeboten. In der zweiten Stufe gibt es allgemeine Schlichtungsstellen. Schließlich sieht das VSBG in der dritten Stufe eine Universalschlichtungsstelle (§ 29) vor, die entgegen ihrem Namen nicht universell tätig sein soll, sondern vorhandene Lücken schließt. Dieses Angebot staatlich anerkannter Schlichtungseinrichtungen garantiert Unabhängigkeit, Kompetenz sowie einen Lösungsvorschlag innerhalb kurzer Zeit, ohne dass für den Verbraucher Kosten entstehen.
Rn 5
Die Novelle v 30.11.19 hat die Universalschlichtungsstelle von den Ländern an den Bund übertragen (§ 29 I). Weiterhin wurde die Aufsicht deutlicher geregelt (§ 29 III). Schließlich wurden Verbraucher, die ihren Anspruch im Klageregister einer Musterfeststellungsklage anmelden, vom Schlichtungsverfahren ausgeschlossen (§ 14 I Nr 3). Das Verfahren der Universalschlichtungsstelle wurde gem § 42 II durch eine Rechtsverordnung näher geregelt (VO v 16.12.19, BGBl I 2817); dazu Thole ZKM 20, 4; Greger MDR 20, 65.
V. Bedeutung.
Rn 6
Zurzeit gibt es in Deutschland 25 anerkannte Verbraucherschlichtungsstellen, darunter zwei allgemeine Verbraucherschlichtungsstellen (Stand 9.7.18). Die allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle in Kehl wurde im April 2016 als erste anerkannt. Die Tätigkeitsberichte aller 25 Stellen zeigen, dass es im Jahr 2016 insgesamt 61.694 Schlichtungsanträge gegeben hat (Althammer/Lohr DRiZ 17, 354), im Jahre 2017 gab es 68.538 Anträge. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass es sich bei fast allen bisher anerkannten Stellen um bereits vor 2016 vorhandene Schlichtungsstellen handelt, die teilweise schon vor Inkrafttreten des Gesetzes stark frequentiert waren.
B. Überblick zum Regelungsgehalt.
I. Freiwilligkeit.
Rn 7
Kein Unternehmer ist verpflichtet, sich an Verfahren nach dem VSBG zu beteiligen (aber es gibt zwingende Informationspflichten, Rn 8), soweit nicht branchenspezifische Sonderregelungen gelten (insbes §§ 57 ff LuftverkehrsG, 111b EnWG). Auch für Verbraucher ist die Teilnahme freiwillig. Eine in AGB vereinbarte Verpflichtung des Verbrauchers zur Teilnahme an einem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren ist gem § 309 Nr. 14 BGB unwirksam.
II. Informationspflichten.
Rn 8
Allerdings sind Unternehmen (mit Ausnahme von Kleinunternehmern iSd § 36 III VSBG), die entweder eine Webseite unterhalten oder AGB verwenden, gem § 36 VSBG verpflichtet, darüber zu informieren, ob und an welcher Schlichtungsstelle sie teilnehmen, ggf durch Mitteilung, dass sie an keiner solchen teilnehmen. Auch die Schlichtungsstelle muss eine Webseite mit Informationen gem § 10 VSBG betreiben. Der BGH hat diese Informationspflichten deutlich verschärft (s § 36); im Einzelnen vgl BGH MDR 19, 802; 19, 1241; 19, 1370.
III. Begriff der Verbraucherschlichtungsstelle.
Rn 9
Der Begriff darf nur für Einrichtungen verwendet werden, die den in §§ 2 ff VSBG beschriebenen Anforderungen genügen. Privatrechtlich organisierte Verbraucherschlichtungsstellen müssen insbes gem §§ 24, 27 VSBG durch das Bundesamt der Justiz anerkannt werden (im Einzelnen dazu Berendt ZKM 17, 218). Die Nutzung anderer Begriffe für andere Arten von Streitbeilegungseinrichtungen ist weiterhin möglich.
IV. Hemmung der Verjährung.
Rn 10
Die Einreichung eines Antrags bei einer Verbraucherschlichtungsstelle hemmt gem § 204 I Nr. 4 BGB die Verjährung, sofern der Antrag ›demnächst‹ der Gegenseite bekann...