Prof. Hilmar Raeschke-Kessler
Rn 57
§ 1059 II 2 enthält nur zwei vAw zu berücksichtigende Aufhebungsgründe: (1) die fehlende Schiedsfähigkeit des Streitgegenstandes (§ 1059 II 2a) und (2) den Verstoß gegen die (deutsche) öffentliche Ordnung, ordre public – op (§ 1059 II 2b).
I. Streitgegenstand nicht schiedsfähig (§ 1059 II 2a).
Rn 58
Da gem § 1030 I nahezu jeder vermögensrechtliche Anspruch Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein kann, sind Schiedssprüche über einen nicht schiedsfähigen Streitgegenstand eines Schiedsgerichts mit Sitz in Deutschland selten. Nicht schiedsfähig sind jedoch Streitigkeiten über einen gesetzlichen Pflichtteilsanspruch, § 2303 BGB, wenn sie durch letztwillige Verfügung einem Schiedsgericht nach § 1066 zugewiesen worden sind (BGH NJW 17, 2115 [BGH 16.03.2017 - I ZB 50/16] Rz 10 ff).
II. Ordre public-Verstoß (§ 1059 II 2b).
Rn 59
Aufhebungsverfahren, die auf behaupteten ordre public-Verstößen des Schiedsgerichts beruhen, sind zahlreich. Der Vorwurf ist häufig unberechtigt und wird nur für den Versuch benutzt, um das für den staatlichen Richter bestehende Verbot einer Inhaltskontrolle des Schiedsspruchs zu umgehen (Verbot einer révision au fond) (BGHZ 142, 204, 205).
1. Nationaler/Internationaler ordre public.
Rn 60
Der BGH unterscheidet zwischen einem engeren nationalen – inländischen – ordre public – und einem großzügigeren ordre public international – opi – (BGH 6.10.16 – I ZB 13/15, juris Rz 56). Er meint jedoch zu Recht, die Abweichungen zwischen beiden seien allenfalls geringfügig (BGH SchiedsVZ 09, 66, 67 [BGH 30.10.2008 - III ZB 17/08], Rz 5).
2. Nationaler ordre public.
Rn 61
Der Begriff der (deutschen) öffentlichen Ordnung aus § 1059 II 2b ist inhaltlich deckungsgleich mit dem Begriff der ›wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts‹ aus § 328 I 4. Dessen Kommentierung ist daher mit heranzuziehen.
Rn 62
Ein Schiedsspruch ist mit dem nationalen ordre public unvereinbar, wenn er eine Norm verletzt, die die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens regelt, oder wenn er zu deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen in einem untragbaren Widerspruch steht. Er muss demnach mit den elementaren Grundlagen der deutschen Rechtsordnung offensichtlich unvereinbar sein. Das ist nur dann der Fall, wenn er gegen eine nicht abdingbare Norm verstößt, die Ausdruck einer für die Rechtsordnung grundlegenden Wertentscheidung des Gesetzgebers ist (BGH SchiedsVZ 09, 66 Rz 5). Das Offensichtlichkeitskriterium wird inzwischen durchgängig in den neueren europäischen Regelungen zum ordre public–Vorbehalt verwandt (BGH SchiedsVZ 14, 98 [BGH 28.01.2014 - III ZB 40/13] Rz 9). Daher ist nicht jeder Verstoß gegen zwingende Vorschriften des deutschen Rechts zugleich ein Verstoß gegen den op. Verletzt sein muss eine nicht abdingbare Norm, die Ausdruck einer für die Rechtsordnung grundlegenden Wertentscheidung des Gesetzgebers ist (BGH NJW 09, 1215 [BGH 30.10.2008 - III ZB 17/08] Rz 6). Das gilt, wenn das Schiedsgericht eine Person verurteilt, die nicht selbst als Partei am Schiedsverfahren beteiligt war; das ist mit elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen unvereinbar (BGH 14.2.19 – I ZB 33/18 juris, Rz 22). Nicht zum op gehört § 301 (BGH 25.6.20 – I ZB 108/19 juris, Rz 14–21) oder Rechtsverordnungen und berufsrechtliche Regelungen, weil in ihnen nicht die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens geregelt werden (BGH 14.1.16 – I ZB 8/15 juris, Rz 9).
3. EU-rechtlicher ordre public.
Rn 63
Normen, die zum EU-rechtlichen ordre public gehören, wie zB Art 81, 82 EGV, sind von den Gerichten vAw anzuwenden (EuGH, Slg 06, I-6653 Rz 31 – Manfredi). Sie sind daher wie Normen zu behandeln, die zum nationalen ordre public gehören, wie etwa die zwingenden Verbotsnormen der §§ 1, 19–21 GWB. Der EuGH hat mit Urt v 6.3.18 – C-284/16, Rz 62 (Achmea) entschieden, dass Angebote in ISV von Mitgliedstaaten an Investoren aus einem anderen Mitgliedstaat, Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen, mit Art 267, 344 AEUV unvereinbar und unwirksam seien. Der BGH hat deshalb einen auf der Grundlage ISV in Frankfurt ergangenen Schiedsspruch zugunsten des niederländischen Investors Achmea gem § 1059 II Nr. 1 a aufgehoben, weil keine wirksame Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien bestanden habe (Beschl v 31.10.18 – I ZB 2/15, juris Rz 27). Gegen den Achmea-Beschluss des BGH v 31.10.18 ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden, über die noch nicht entschieden ist. Bleibt die Verfassungsbeschwerde erfolglos, können in Deutschland ergangene ISV-Schiedssprüche zwischen einem Mitgliedstaat und einem Investor aus einem anderen Mitgliedstaat nicht mehr nach § 1060 für vollstreckbar erklärt werden. Eine Vollstreckbarerklärung ist dann zugleich ein Verstoß gegen den EU-rechtlichen ordre public nach § 1059 II 2 b.
Rn 64
Das gilt auch für zwingende Normen des EU-rechtlichen Verbraucherschutzes. Das Gericht hat daher im Aufhebungsverfahren über einen Schiedsspruch gegen einen Verbraucher vAw zu prüfen, ob die Schiedsklausel als missbräuchliche Klausel gem Art 6 I Richtlinien 93/13 nichtig ist (EuGH, Slg 09, I-9579, Rz 30 ff, 51 ff – Asturcom Telecomunicaciones).
4. Schiedsort Deutschland = nationaler op.
Rn 65
Der BGH wendet nur den nationalen op an, wenn es sich um einen inl...