Prof. Hilmar Raeschke-Kessler
Rn 33
Der deutsche Richter darf die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs versagen, wenn dieser im Erlassstaat rechtskräftig aufgehoben worden ist. Da zahlreiche Staaten, auch solche, in denen Schiedsverfahren stattfinden, nicht über geordnete rechtsstaatliche Verhältnisse verfügen, steht dem Richter ein pflichtgebundenes Ermessen zu, ob er die Aufhebungsentscheidung im Erlassstaat anerkennt. Das folgt zunächst aus dem Wortlaut von Art V (1) UNÜ ›Die Anerkennung … darf … versagt werden‹. Das ›may‹ im englischen Ursprungstext drückt das Ermessen stärker aus als das deutsche ›darf‹. Der Richter muss am Maßstab von § 328 prüfen, ob die Aufhebungsentscheidung des ausländischen Gerichts innerhalb des Verfahrens nach § 1061 anzuerkennen ist, insb, ob sie mit dem ordre public aus § 328 I 4 vereinbar ist. Ist der Schiedsspruch im Erlassstaat zB gegen ein Staatsunternehmen ergangen, kann das dortige Gericht im Aufhebungsverfahren das Staatsunternehmen etwa begünstigen, indem es dem ausländischen Gläubiger das rechtliche Gehör verweigert. Will der Gläubiger/Antragsteller aus dem aufgehobenen Schiedsspruch in Deutschland gegen das Staatsunternehmen vollstrecken, muss dieses im Verfahren nach § 1061 lediglich beweisen, dass der Schiedsspruch im Erlassstaat aufgehoben ist (BGH NJW 08, 2718, Rz 7). Dann ist es Sache des Antragstellers, den ordre public-Verstoß im Aufhebungsverfahren substanziiert dazulegen und zu beweisen (BGH NJW 08, 2718 [BGH 21.05.2008 - III ZB 14/07] Rz 9f). Gelingt ihm dies, ist der Schiedsspruch in Deutschland für vollstreckbar zu erklären, obgleich er im Erlassstaat aufgehoben worden ist.
Rn 34
Besonders die Gerichte einiger früherer COMECON-Staaten, neigen noch heute gelegentlich dazu, in ihrem Land Schiedssprüche gegen den Staat oder Staatsunternehmen mit fadenscheinigen Begründungen aufzuheben, die mit Mehrheit gegen die Stimme des vom Staat benannten Schiedsrichters ergangen sind. Der österreichische Oberste Gerichtshof hat daher in einem Urt aus dem Jahr 2005 (JBl 05, 661) grds entschieden, dass die Aufhebung des Schiedsspruchs im Erlassstaat nicht dessen Fähigkeit beseitigt, in Österreich anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden. Es sei allein Sache des (österreichischen) Gerichts im Anerkennungsverfahren, autonom darüber zu entscheiden, ob ein ausländischer Schiedsspruch in Österreich anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden könne. Wenn die Aufhebung eines Schiedsspruchs im Erlassstaat automatisch bedeute, dass dieser nicht in einem Drittstaat für vollstreckbar erklärt werden könne, sei dies das Ende der unabhängigen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Der BGH sollte sich dieser modernen Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofs anschließen.
Rn 35
Art V 1e UNÜ wird für aufgehobene Schiedssprüche, die aus einem Mitgliedstaat des EuÜ 1961 stammen, eingeschränkt. Danach darf ein im Erlassstaat aufgehobener Schiedsspruch nur dann für nicht vollstreckbar erklärt werden, wenn die Aufhebung auf die in Art IX 1 a–d angeführten Gründe gestützt ist, die Art V 1 a–d UNÜ inhaltlich entsprechen. Ein Schiedsspruch aus einem Mitgliedstaat des EuÜ 1961 ist daher selbst dann für vollstreckbar zu erklären, wenn er wegen eines Verstoßes gegen den nationalen ordre public aufgehoben worden ist. (BGH SchiedsVZ 13, 229 [BGH 23.04.2013 - III ZB 59/12] Rz 3). Selbstverständlich darf der Schiedsspruch inhaltlich nicht gegen den materiellen deutschen ordre public international verstoßen.