Rn 8
§ 11 BGB bestimmt den gesetzlichen Wohnsitz von Kindern ausgehend von dem Wohnsitz des Inhabers der Personensorge. Es handelt sich also um einen abgeleiteten gesetzlichen Wohnsitz. Dieser gesetzliche Wohnsitz ist nicht zwingend. Durch denjenigen, dem die Personensorge zusteht – das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein genügt nicht (BGH NJW-RR 92, 1154; Brandbg FamRZ 07, 851; Karlsr FamRZ 06, 486; Stuttg FamRZ 03, 395; Staud/Weick § 8 Rz 3) –, kann auch ein anderer, selbstständiger Wohnsitz für das Kind begründet werden (BGHZ 7, 104, 107 f; NJW-RR 94, 322; Frankf NJW-RR 96, 513; Köln FamRZ 96, 859 f; München NJW-RR 08, 1534, 1535; PWW/Prütting § 11 Rz 1; Palandt/Ellenberger § 11 Rz 1). Der gewillkürte Wohnsitz des Kindes kann auch konkludent begründet werden und geht dem gesetzlichen stets vor (Frankf FamRZ 96, 1351, 1352; Brandbg FamRZ 09, 798). Wegen der Vorläufigkeit der Maßnahme scheidet eine Heimunterbringung als eine Wohnsitz begründende Maßnahme aus (Ddorf NJW-RR 91, 1411), ebenso der Aufenthalt in einer Jugendarrestanstalt und die vorübergehende Betreuung der Kinder durch Dritte (vgl Frankf NJW-RR 96, 512 f; Brandbg FamRZ 09, 798). Dasselbe gilt grds für den Besuch einer Internatsschule (BayObLG NJW-RR 1989, 262, 263; PWW/Prütting § 7 Rz 8). Anderes gilt aber, wenn die Eltern ihr Kind auf nicht absehbare Zeit in die Obhut einer Pflegefamilie geben und damit eine ständige Niederlassung des Kindes begründen wollen (BayObLG FamRZ 94, 1130; Köln FamRZ 96, 859 f; Palandt/Ellenberger § 11 Rz 1; Zö/Schultzky Rz 9). Zum Streit der Eltern über Wohnsitz des Kindes vgl München NJW-RR 08, 1534 f. Zur Wohnsitzlosigkeit von Minderjährigen s § 16 Rn 2.
a) Gemeinsames Sorgerecht.
Rn 9
Sind die Eltern gemeinsam sorgeberechtigt (§ 1626 I, § 1626a I Nr 1 BGB), teilt das Kind den Wohnsitz der Eltern (§ 11 I 1 HS 1 BGB). Haben die Eltern verschiedene Wohnsitze, hat das Kind einen abgeleiteten Doppelwohnsitz (allgM; BGHZ 48, 228, 234 ff; NJW 95, 1224 f; PWW/Prütting § 11 Rz 5; Zö/Schultzky Rz 9; MüKoZPO/Patzina Rz 19), es sei denn die Eltern begründen gemeinsam einen (gewillkürten) alleinigen Wohnsitz des Kindes (BGH NJW-RR 94, 322; MüKoZPO/Patzina Rz 19; s.a. Rn 8). Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil oder auf Dritte ändert hieran grds nichts (vgl Rn 8). Der von beiden Elternteilen abgeleitete Wohnsitz wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Kind erst nach der Trennung der Eltern geboren wird (vgl Karlsr NJW 63, 1252; KG NJW 64, 1577 f [KG Berlin 16.04.1964 - 2 W 564/64]; PWW/Prütting § 11 Rz 5; MüKoZPO/Patzina Rz 19). Allein durch den Eintritt der Volljährigkeit ändert sich der bisherige Wohnsitz nicht (vgl Palandt/Ellenberger § 11 Rz 6). Auch durch den Tod eines Elternteils (vgl § 1680 BGB) ändert sich an dem Wohnsitz nichts, bis der verbliebene Elternteil einen Wohnsitz neu begründet (§ 11 S 3 BGB; BayObLG FamRZ 74, 137 f; PWW/Prütting § 11 Rz 8; MüKoZPO/Patzina Rz 22; St/J/Roth Rz 25).
b) Alleinige Personensorge.
Rn 10
Steht nur einem Elternteil die alleinige Personensorge zu, so teilt das Kind dessen Allein- oder Doppelwohnsitz (vgl § 11 S 1 HS 2 BGB). Vorrangig ist auch hier ein gewillkürter Wohnsitz des Kindes – auch Doppelwohnsitz (Brandbg FamRZ 09, 798). Steht einem Vormund oder einem Pfleger die Personensorge zu, so teilt das Kind den Wohnsitz des Vormunds oder Pflegers (§ 11 S 2 BGB). Das gilt auch bei Findelkindern (vgl § 1773 II BGB).
c) Angenommene Kinder.
Rn 11
Mit Wirksamkeit der Annahme als Kind erwirbt der Annehmende die elterliche Sorge, entweder gemeinsam (§ 1754 I, III BGB) oder allein (§ 1754 II, III BGB). Demzufolge leitet sich der Wohnsitz von dem Annehmenden und seinem Ehegatten oder von dem Annehmenden allein ab (s Rn 9 und 10).
d) Abstammungsstreit.
Rn 12
Während des Streits über die Abstammung behält das Kind seinen bisherigen Wohnsitz, bis dieser wirksam aufgehoben wird. Eine Rückwirkung tritt nicht ein (vgl Staud/Weick § 11 Rz 4; Palandt/Ellenberger § 11 Rz 7).