Rn 7
Die Erörterung klärungsbedürftiger Punkte des Sach- und Streitverhältnisses durch Fragen und Hinweise ist eine Pflicht des Gerichts. Ein Ermessen besteht insoweit nicht, allenfalls ist dem Gericht ein enger Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit zuzugestehen. Die Hinweiserteilung kann in der mündlichen Verhandlung, schriftlich oder auch telefonisch (vgl die Gesetzesbegründung BTDrs 14/4722, 78) erfolgen. Bei schriftlichen oder telefonischen Hinweisen ist aber darauf zu achten, dass der Gesichtspunkt der Waffengleichheit nicht verletzt wird. Daher kann es angezeigt sein, in diesen Fällen auch die andere Seite von der Hinweiserteilung in Kenntnis zu setzen. Zur Dokumentationspflicht unten Rn 19.
Sowohl die Unterlassung eines gebotenen Hinweises oder einer erforderlichen Aufklärung wie auch die Erteilung eines unklaren (BAG NZA 08, 1206 [BAG 26.06.2008 - 6 AZN 1026/07]), fehlerhaften oder irreführenden Hinweises können ein Verfahrensmangel sein. Unzulässig ist umgekehrt aber zweifellos auch ein richterlicher Hinweis (zB auf einen möglichen Prozessvergleich), wenn sich dieser Hinweis als Drohung oder unzulässiger Druck darstellt (BAG NZA 10, 1250 [BAG 12.05.2010 - 2 AZR 544/08]). Solche Verletzungen der richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflicht können sowohl Konsequenzen für den jeweiligen Rechtszug als auch im Hinblick auf Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung haben. Das Gericht, das den Hinweis oder die erforderliche Aufklärung versäumt hat, darf entsprechenden Vortrag nicht nach § 296 zurückweisen, wenn das Unterbleiben des Hinweises zur Verzögerung beigetragen hat (Ddorf WM 08, 2310 [OLG Düsseldorf 10.06.2008 - I-24 U 86/07]).
Verletzt das Gericht seine Frage- und Hinweispflicht, so konstituiert dies einen wesentlichen Verfahrensmangel und damit eine für die Entscheidung wesentliche Verletzung des Gesetzes, auf die Berufung und Revision gestützt werden können. Ob die Nichterteilung eines Hinweises fehlerhaft war, bemisst sich auch in der Rechtsmittelinstanz allein vor dem Hintergrund der (möglicherweise vom Rechtsmittelgericht nicht geteilten) materiellen Rechtsansicht des Gerichts der vorherigen Instanz (BGH NJW 01, 3479, 3481 [BGH 10.07.2001 - XI ZR 199/00]). Eine Verletzung des § 139 kann somit nicht darauf gestützt werden, dass die Rechtsansicht des Gerichts falsch war und das Gericht nicht auf die in den Augen des Rechtsmittelgerichts ›richtige‹ Sichtweise hingewiesen hat (BGH MDR 09, 26 = NJW 09, 355 [BGH 14.10.2008 - VI ZR 36/08]).
Die Einlegung eines Rechtsmittels setzt weiter voraus, dass die Partei im Einzelnen vorträgt, wie sie auf den Hinweis – wäre er pflichtgemäß erteilt worden – reagiert hätte (BAG NZA 08, 1206 [BAG 26.06.2008 - 6 AZN 1026/07]). Im Berufungsverfahren wirken sich Verstöße gegen § 139 durch die 1. Instanz iRv § 529 I Nr 1 und § 531 II Nr 2 aus, so dass neu vorgetragene Tatsachen oder neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel aufgrund des fehlenden Hinweises in der 1. Instanz zuzulassen sind (BGH NJW-RR 05, 213 [BGH 14.10.2004 - VII ZR 180/03]). Einen Verstoß gegen § 139 zu rügen, kann insofern ein Vehikel sein, andernfalls präkludiertes Vorbringen in die Berufungsinstanz einzuführen. Bei schweren Fehlern kann das Berufungsgericht unter den Voraussetzungen von § 538 II 1 Nr 1 das fehlerhafte Urt aufheben und die Sache an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen. Das Revisionsgericht hat diese Möglichkeit nach §§ 562, 563 (BGH NJW-RR 91, 256 [BGH 11.07.1990 - VIII ZR 165/89]). Verstößt ein richterlicher Hinweis gegen die Neutralitätspflicht des Gerichts, kann dies mit der Revision nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei ihr Ablehnungsrecht in der Vorinstanz durch Antragstellung und weitere Einlassung nach § 43 verloren hat (BGHZ 165, 223, 226 = NJW 06, 695). Bei Urteilen, gegen die weder Berufung noch Revision statthaft sind, kommt bei Verletzungen der Hinweis- und Aufklärungspflicht die Gehörsrüge nach § 321a in Betracht.
Versäumt das Gericht die rechtzeitige Aufklärung unklarer, für die PKH-Bewilligung wesentlicher Punkte, kann Prozesskostenhilfe ausnahmsweise auch nach Instanzende mit Rückwirkung gewährt werden. Denn aus einer Verletzung gerichtlicher Obliegenheiten nach § 139 darf dem Antragsteller kein Nachteil erwachsen.